Neuland

Durch meine Pinsammlung blätternd, auf der Suche nach Inspiration, denke ich an frühere Zeiten zurück, an das Gefühl beim kreativen Werkeln, die Sehnsucht, die unbestimmte, die mich auf die Suche schickte. An die Spannung und wache Neugier, die mich trieben. Früher war alles besser, denke ich, und ich möchte zu diesem kreativen Fliessen zurück, zum Erschaffen und Schöpfen und zur Suche.

Im Zurückblicken scheint das Vergangene altvertraut, bekannt. Ich möchte zurückgehen weil ich weiss, worin ich lebte, möchte das Schöne wiederholen und noch einmal auskosten. Aber das Leben ist jetzt. Und es ist unbekannt. All das, was gerade passiert, weiss ich noch nicht. Ich gehe in neues Land. Fortwährend. Und Neues verunsichert.
Darum blickt die Seele zurück und meint, früher sei es besser gewesen.

Sie täuscht sich. Damals blickte ich genauso zurück auf vergangene Tage und Werke und dachte, es sei besser gewesen.

Im Augenblick des Lebens weiss man nicht, wohin der Weg führt.
Das Leben wird rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt, wie Kierkegaard sagt.
Vielleicht gäbe es ohne immerwährendes Neuland keine Suche und keine Spannung, keine Neugier, kein Erschaffen und Schöpfen. Und keine Notwendigkeit, weiter zu gehen.

Erinnere dich

Du, wenn du jetzt traurig und voller Zweifel bist, wenn Gedanken und Erinnerungen dich einholen und Tränen und Schmerz dich überschwemmen, dann erinnere dich, dass in dir genau jetzt, gleichzeitig, ein Ort der Ruhe, des Lichts und des Friedens ist.
Und wenn du Angst hast, dort hinzugehen, weil etwas in dir nach Aufmerksamkeit schreit, dann sage dem Schmerz, den Tränen und den Erinnerungen, dass du sie nicht vergisst. Sage, dass du sie gesehen hast.
Und wenn du nicht weisst, wie du an diesen Ort hingelangen kannst, dann strecke Gott deine beiden Hände entgegen. Er wird dich führen.

Du brauchst das Schwere, Dunkle, die Erinnerungen, deine Geschichte, nicht zu verleugnen. Das gehört zu dir.
Aber du darfst die Seite wechseln und ins Licht treten. Wenn du im Schatten bleibst, dann kann die Sonne dich nicht anleuchten. Wenn du im Licht stehst, ist der Schatten noch da. Aber du bist von Licht umgeben und er wird dich nicht bedrücken.

Du, dieser innerste Ort, dein Zentrum, dein Leben, ist unantastbar für das Dunkle, von Licht umstrahlt.
Erinnere dich daran.

berührt

Davon.

Ja. Die Scherben werden dazu gehören, immer. Sie sind nicht wegzudenken.
Ich kann lernen, in ihnen das Licht zu sehen, ja, sogar so weit kommen, dass ich sie mit Freude, Liebe und Dankbarkeit betrachten kann.
Ich könnte versuchen, sie zusammenzukleben, auch wenn ich nicht so genau weiss, wie ich das machen müsste. Aber dann werden sie das Licht  nicht mehr zurückstrahlen. Und das Gefäss wird nie mehr neu werden und ganz.

Liebes Tagebuch

Angeregt von Thinkabouts Gedanken übers Tagebuchschreiben möchte ich hier selbst ein bisschen weiter als hier oder hier erzählen wie ich es damit halte.

Ich schreibe Tagebuch. Seit meiner Kindheit. Und ich habe, bis auf die allerersten, alle behalten.
Heute schreibe ich es elektronisch und sichere es in verschlüsselter Datei.

Es ist der ehrlichste Ort, der offenste. So unverstellt schreib ich nirgends. Obwohl, die Unterschiede sind gering, liegen in Details, nicht im Stil. Mein Tagebuch liest sich wie meine Blogartikel oder Briefe. Aus Freude am Schreiben feile ich sogar an den Texten, bis ich genau das eingefangen habe, was ich wollte.

Man könnte sagen, dann ist es aber schon literarisch und nicht mehr schlichtes Tagebuch. Und einwenden, dass das nicht mehr die Wirklichkeit ist, sondern dieselbige, aufgebauscht zu einer Geschichte. Die dann durchaus in einen Roman oder sonstwie zwischen Buchdeckel passen könnte.

Für mich sind Texte, egal ob geschliffen oder nicht, immer bereits Übersetzungen von Gedanken, von Geist. Selbst gesprochenes Wort ist Übersetzung, wenn auch näher am Gedanken.
Es gibt für mich zunehmend oft Dinge, die ich nicht fassen kann. Denen ich kein Wortkleid geben kann. Sätze, die so flüchtig sind, dass sie im selben Augenblick durchsichtig vor meinen Augen werden und sich nicht schreibend festhalten lassen. Dinge oder Sachverhalte oder anderes, die ich zwar ahne, die sich mir aber weder in griffigen Vergleichen und Bildern noch in verständlichen Sätzen zeigen. Dinge, die ich manchmal im Tagebuch über lange Zeit umkreise, immer wieder von einer anderen Seite beleuchte, bis ich sie einigermassen ausmachen konnte.
Die Texte, die dabei entstehen, sind der Versuch, mir selbst etwas zu erklären. Der Versuch, etwas zu verstehen, zu be-greifen, wenn auch nur mit Worten. Sie sind Versuch und Suche. Forschungsarbeiten. Und bleiben immer unvollständig und bruchstückhaft weil immer wieder neue Aspekte hinzu kommen können. Oft werde ich so an Orte gelockt und gelotst, wo ich nie gedacht hätte, hinzukommen.

Ich könnte dies alles auch nachdenkend tun. Aber dann wäre es nicht auf dieselbe Art gründlich. Schriftlich gelingt mir das Sortieren der Gedanken besser. Und wenn ich nachlese, was ich am Tag zuvor schrieb, kann ich den Gedanken weiterführen, kreise nicht, sondern gehe ein Stück vorwärts.

Meine Texte sind also vorallem Reflexionen. Seltener notiere ich das Tagesgeschehen.
Manchmal findet so ein Text, redigiert natürlich, Eingang ins Blog, das auch Tagebuch ist, auf andere Art.
Auf dieser Suche nach Worten, oft hier, um das passendere zu finden, schlage ich solche auch im Herkunftswörterbuch nach oder lese die Definitionen in einem Lexikon.
Manchmal wähle ich in meinem Tagebuch bewusst eine andere Perspektive, erzähle aus der Beobachterrolle. Oder ich schreibe eher lyrisch, dann wieder stichwortartig, oder als Brief (den ich nicht absende).

Ich muss schreiben. Ich kann nicht anders. Vorallem dann, wenn mich etwas stark beschäftigt. Es ist, bis auf wenige Ausnahmen, eine wundervolle Art, mit dem Leben klarzukommen, ruhig zu werden, alles zu sortieren und darüber nachzudenken.
Oft geht es mir so, als würde ich einer Freundin berichten. Dann komme ich erzählend auf neue Ideen, auf Lösungen, genau, wie bei einem richtigen Gespräch.

Seit einem Schreibexperiment, den Morgenseiten, wo man ungefiltert schreibt, was man denkt, also drei A4-Seiten oder zwanzig Minuten lang jeden Gedanken notiert, benutze ich manchmal das Schreiben, um meine Gedanken zu verlangsamen. Es geht durchaus elektronisch, das heisst, nicht von Hand geschrieben, vorausgesetzt, man sieht nicht auf den Bildschirm und beherrscht das Zehnfingersystem.
Wenn mich das Gedankenkarussell gefangen hält, benütze ich diese Übung, um wirklich ruhig zu werden, so ruhig, dass ich anschliessend meditieren kann.

Küchenmeditation

Ich werkle in der Küche. Das erste Mal forme ich klebrige Schokolademasse mit den Fingerspitzen zu Truffes, drehe die Kugeln kurz in der Handfläche, rolle sie in Kakaopulver oder gehackten Walnüssen und setze sie in kleine Papierförmchen.

Später forme ich einen Sonntagszopf, bestreiche ihn mit Eigelb. Dazwischen setze ich kleine Häufchen Lebkuchenteig auf Oblaten. Nach dem Backen werden sie mit heisser Schokoladeglasur bepinselt.

Ich seh mir zu. Meine Bewegungen sind flüssig, routiniert, ruhig, geduldig. Eine Leichtigkeit ist darin und Präsenz. Ich bin ganz da. Es tut gut, mit den Händen etwas zu schaffen, mir dabei zuzusehen. Der Platz in der Küche ist sehr beschränkt, was mich mit den Jahren lehrte, sie während des ganzen Arbeitsprozesses sauber und aufgeräumt zu halten.

Ich denke zurück an früher, als ich kochen lernte, als jeder Handgriff holprig war, die Küche einem Schlachtfeld glich, wenn ich fertig war, als nicht nur aussen, sondern auch in meinem Kopf ein gehetztes Chaos herrschte.

Heute muss ich nicht mehr überlegen. Meine Hände tun von alleine in der richtigen Reihenfolge die richtigen Dinge, so, dass am Schluss alles rechtzeitig fertig ist. Ich habe dabei sogar Musse, mit allen Sinnen zu geniessen.

Mir fällt auf, dass man das ein bisschen auf den Rest meines Lebens übertragen könnte. Früher war ich gehetzt und mit innerlichem Chaos durch den Tag gerannt, wurde nie fertig, war immer unzufrieden, es war nie genug. Heute bin ich mehrheitlich ruhig. Die Dinge erledigen sich trotzdem. Ich renne nicht mehr rum, um allen zu beweisen, was ich alles kann. Ich tue einfach, oder ich lasse es bleiben.

Manchmal, in faulen Momenten, wünsche ich mir, ein bisschen vom alten Ehrgeiz zu haben, der mich zu Höchstleistungen trieb und mir manche Anerkennung einbrachte. Heute muss ich sie mir meist selber geben, muss selber wissen, was ich gut mache weil es mir selten jemand sagt.

Und wenn ich es nicht mehr sehe, lese ich im Tagebuch ein bisschen zurück. Dann spüre ich, wo ich gewachsen bin, sehe, was ich gelernt habe. Und dann bin ich dankbar für all die Steine, die mich das Klettern lehrten und deretwegen ich zwischendurch eine schöne Aussicht geniessen kann.4stats Webseiten Statistik + Counter

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Ein Glas Wasser zum Kaffee?

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Ja, gerne!

Obwohl: Das Wasser lasse ich hinterher meist stehen. Ich möchte doch nicht den köstlichen Kaffeegeschmack wegspülen und Wasser pur schmeckt mir nur selten.
Und doch serviere ich es mir sogar selber, denn ich mag das Ästhetische daran. Es verleiht einem Kaffee Stil. Es sieht einfach schön aus. Es sieht nach Nichtstun, nach Urlaub und Süden, zumindest nach einem gemütlichen, freien Nachmittag in einem Café aus, es erinnert an so manche guten Gespräche.
Dann steht der Cappuccino vor mir, mit unberührtem, hoch aufgetürmtem Milchschaum, daneben ein Glas klares Wasser. Das eine ist Luxus, das andere ist lebensnotwendig.
Ich halte einen Moment inne und betrachte dieses Bild. Ein paar Augenblicke hält die Zeit an, ich bin nur, geniesse das Dasein, lehne mich zurück, betrachte die Gegend, die Menschen, höre die Geräusche, atme tief ein und lasse mich vom Leben verwöhnen.

Ja, bitte, ich möchte ein Glas Wasser zum Kaffee! Und wenn ich vergesse, es vor dem Kaffee zu trinken, lasse ich es stehen.
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Herbst

Gestern noch Sommer. Jetzt hängt grauer Nebel, tropft kalter Regen.
Vorbei erfrischende Abkühlungen in weichen Wellen, laue Abende auf dem Balkon, der Duft von Heu und sonnengetrockneter Wäsche. Vorbei Sonnenstrahlen auf der Haut wie eine Umarmung, und dazu kühles Fruchteis auf der Zunge.
Wenn es je ein Jahr gegeben hat, das es nötig macht, meine Meinung bezüglich Herbstanfang gründlich zu revidieren, dann dieses.
Der Herbst beginnt im September. Dieses Jahr, zwei Wochen zu früh, schon im August.
Ich zieh mir eine Jacke über, zünde Kerzen an. Mir ist kalt.
Zeit für unvergleichliche Sonnenuntergänge. Diesen hier hab ich leider knapp verpasst.
Im Herbst nämlich geht die Sonne nicht einfach nur unter. Es ist, als ob sie mit grosszügigem Pinselstrich den gesamten Sommer in furiosem Farbenspiel noch einmal auf den Himmel zaubern wollte. Sie nimmt die ganze Palette. Das Gold satter Freude, das Lila leisen Fernwehs, das Orange prasselnden Feuers, frisches Gelb eines Zitronenfalters, das klare Blau des Sommerhimmels, das Türkis der Meerestiefe. Sie mischt brennende Wolken dazu, und grauschwarze, grollende, sticht mit einzelnen Strahlen hindurch und ruft mir zu: Der Herbst ist schön! Freu dich auf die wunderbaren Farben, das goldene Licht, die gemütlichen Abende, auf kühle Luft und ersten Schneegeruch. Freu dich auf Stürme mit farbigem Blätterregen,  auf Stapel von Büchern, auf Trauben und Kastanien, auf frischen Wein. Freu dich auf hüllenden Nebel, den ersten Raureif, die warme, dicke Jacke.
Du wirst sehen, es wird dir gefallen.

Ein Blick zurück

Aus einem aktuellen Anlass habe ich kürzlich alle unsere Familienfotos durchgesehen. Sie befinden sich, feinsäuberlich chronologisch geordnet, in einer Kartonschachtel und warten (seit Jahren) darauf, in ein schickes Fotoalbum befördert zu werden. Was ich demnächst tun werde. Wobei demnächst ein ziemlich weit gefasster Begriff ist. Aber ich schweife ab.

Ich sah mir also unsere Fotos an und hielt Rückschau auf unsere Jahre. So manche Erinnerung kam hoch und doch war vieles so weit weg, dass ich die Bilder mit den Augen einer Fremden betrachten konnte. Und was ich mit solchen Augen sah, verblüffte mich. Ein überraschendes Gefühl breitete sich langsam, aber unaufhaltsam in mir aus: „Mensch, haben wir es doch schön zusammen! Was sind wir doch für eine wunderbare Familie! Und wieviel wir immer mit den Kindern unternommen haben! Und wieviel Spass wir zusammen hatten!“
Ich wusste auf einmal, dass wir es, trotz vielen Schwierigkeiten, trotz Zank und Ärgernissen, trotz Geschimpfe und manchen Kämpfen gut gemacht haben. Mit dem Verstand hatte ich mir das oft gesagt, aber jetzt hat es mein Herz gesehen. Und das ist ein riesiger Unterschied.

Das Erlebnis stimmte mich froh und zufrieden. Aber es machte mich auch sehr nachdenklich. Warum kann ich die Dinge nicht währenddessen so betrachten? Warum sehe ich die Schönheit nicht unmittelbar, sondern erst im Nachhinein? Warum dominiert im Jetzt das Schwere und Schmerzhafte?

Ich möchte im Herzen und im Bewusstsein behalten, dass ich unsere Jahre und mein Leben im Nachhinein mit Zufriedenheit und Freude betrachten werde.
Dass die Schmerzen verblassen mit der Zeit und ich sie durch den Adlerblick als Wachstumsmotor betrachten werde.
Und ich hoffe, dass dieses Bewusstsein mein Jetzt durchdringt und färbt. Mit Vertrauen, Zufriedenheit und Freude tränkt. Weil ich weiss, dass der unfassbare, wunderbare Gott, der mir Vater und Mutter ist, mich leitet und mir den Weg bahnt.