Neuanfang

„Ich habe auch viele, zu viele Ideen, was ich in meiner Freizeit machen könnte, aber null Motivation, etwas davon anzupacken.“ Er sagte es mit resigniertem Blick, wie einer der aufgegeben und abgeschlossen hat. Seine Stimme klang müde. Seine Augen blickten erloschen unter geschwollenen, schweren Lidern.

„Du könntest dich sozial engagieren“, schlug sie vor, in der Hoffnung, ihm damit soetwas wie einen Rettungsring zuzuwerfen. „In der Kirche zum Beispiel“, fügte sie hinzu.

„Die Kirche?“ Er schnaubte und warnte sie: „Ich mach jetzt einen faulen Spruch: Jesus ist für mich gestorben.“

Obwohl er seinen Scherz vorher angekündigt hatte, dauerte es ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass er das Gegenteil von dem meinte, was der Satz auf den ersten Blick aussagte und dass er sich gleichzeitig mit seinem brillanten Sarkasmus über ehemalige Freunde lustig machte.
„Ja, ich habe meinen Glauben verloren, keine Hoffnung mehr, auch da“, antwortete er auf ihren entsetzten Blick.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie war er so weit gekommen? Das konnte doch nicht sein! Er hatte doch immer so überzeugt gewirkt. Er war doch derjenige gewesen, der seine Kinder religiöser erziehen wollte – im Nachhinein zumindest.
Er musste in einer schweren Depression stecken. Es war vollkommen logisch, dass er jetzt nichts mit dem Glauben anfangen konnte. Sie wusste genau, wie sich das anfühlte. Man geht in den Sonntagsgottesdienst, singt mit, lächelt, aber jedes der Lieder verhöhnt einen: Wo ist er jetzt, dein Gott? Jetzt, wo es dir am verschissensten geht, wo du kein Licht am Ende des Tunnels siehst, wo schwere Gewichte an deinem Herzen hängen, die dich langsam und unaufhaltsam in den Sumpf ziehen? Jetzt, wo du ihn am nötigsten hättest? Wo ist er, von dem sie sagen, dass er jeden Mangel ausfüllt? Der Allmächtige müsste doch nur mit dem Finger schnipsen, und alles wäre wieder gut, dir wäre wieder leicht ums Herz und du wüsstest genau, wozu du hier bist!
Sie kannte diese bitteren Gedanken genau. Und sie wusste, wie lange es gedauert hatte, aus diesem Sumpf wieder herauszukommen.
Depression ist wirklich etwas, bei dem einem der Glaube nicht weiterhilft. Jedenfalls nicht jener Glaube, der im Stil einer Selbsthilfegruppe oder eines schlauen Selbstverbesserungsbuches einem irgendwelche lapidaren Ratschläge um die Ohren haut. „Du musst nur x und y machen und darüber beten.“
Wenn man in diesem Stadium ist, hat man das alles längst ausprobiert. Genützt hat es nichts. Im Gegenteil hat es alles schlimmer gemacht.
Man fühlt sich als der totale Versager, als Christ zudem von Gott im Stich gelassen, und das tut unglaublich weh. Für alle anderen ist dieser Jesus gestorben, für dich nicht, denkst du. Wann du zum letzten Mal etwas gespürt hast, weisst du nicht mehr, wahrscheinlich hast du eh alles falsch gemacht. Mit raumgreifenden Schritten hat dich das Selbstmitleid eingeholt, mit eisernem Griff umschliesst es dein kalt gewordenes Herz. Jedes Gebet, jeder gutgemeinte Zuspruch verhöhnt dich. Irgendwann resignierst du und kommst zum Schluss, dass es diesen Gott nicht gibt, und weisst nicht, dass du damit Recht hast.

Diesen Gott, wie ihn die bibeltreuen Christen meinen verstanden zu haben, und wie du meinst, ihn aus ihren Schilderungen zu kennen, gibt es wirklich nicht. Er ist ein Gedankenkonstrukt, eine Auslegeordnung an Bibelstellen, sorgfältig miteinander verwoben, einzelne Fäden, die farblich nicht passen, sorgsam herausgezupft und ausgelassen, Fragen und Ungereimtheiten mit einem schnell gesagten „Gottes Gedanken sind höher, als unsere“ abgetan. Wenn du deine Fragen äusserst, wirst du zum Gebetsanliegen, und während sie mit gesenkten Köpfen, vor Anstrengung gerunzelten Stirnen und zusammengekniffenen Augen das tun, was sie beten nennen, schüttelst du innerlich den Kopf und denkst: „Ihr wisst nichts!“
Du fragst dich die ganze Zeit, ob du ein richtiger Christ bist, dir das alles nur eingebildet hast und warum Jesus dein Gebet, du mögest seinen Tod am Kreuz endlich verstehen und er könnte dein Inneres so umkrempeln, wie das ihre, nicht erhört. Er müsste doch ein Interesse daran haben, dass die Bekehrung in deinem Herzen ankommt, mit allem Drum und Dran. Muslimen ist er auch erschienen, warum dir nicht?

„Such weiter“, ermunterte sie ihn, „Es gibt ihn schon.“

„Kennst du ihn denn?“

„Jetzt wird es schwierig“, sagte sie, „Ich weiss es nämlich nicht. Ich denke, wir können Gott, oder wie auch immer du das nennst, nicht erfassen, beschreiben, in Worte runterbrechen. Er ist zu anders, zu umfassend. Er ist alles. Er ist. Und auch das ist irgendwie falsch gesagt. Und auch wieder nicht.“

Er schwieg nachdenklich. „Und Jesus?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiss es nicht“, gab sie zu. Er ist auch alles. Und bei ihm stimmt der Satz ‚Er ist‘, weil er wirklich ein Mensch war, der gelebt hat. Aber ich glaube nicht, dass man glauben muss, er sei für unsere Schuld gestorben, um erlöst zu werden. Ich weiss nicht mal, ob man überhaupt erlöst werden muss.“

„Wie kannst du das so sagen? Woher weisst du das?“

„Ich habe es gewagt, andere Sachen zu lesen, die nicht Christen geschrieben haben. Worte von Menschen, die ebenfalls meinen, Gott erfasst zu haben. Sie haben genau dasselbe versucht: dieses unfassbare, unendliche, umfassende Wesen irgendwie in Worte und Geschichten runterzubrechen.
Es passiert ja nicht auf dieser Ebene, und es ist nicht der Verstand, der eine Erkenntnis hat oder eine Gottesbegegnung erlebt. Es ist der Geist. Aber der Geist hat keine Sprache.
Wenn Sprache das Medium ist, mit dem wir Gott erfassen, dann ist es immer nur eine Übersetzung. Und bei Übersetzungen passieren Fehler. Sie sind ungenauer, als der Originaltext.“

„Du hast dich also mit anderen Religionen befasst?“

„Ein bisschen. Aber nicht nur: Ich habe auch Menschen zugehört, die in der christlichen Kultur grossgeworden sind, aber den christlichen Glauben nicht teilen oder ihn nur als Kulturgut betrachten.“

„Früher hast du doch immer ‚christliche Bücher‘ verschlungen, also welche aus dem freikirklichen Sektor, und dann behauptet, Gott hätte dich geführt, das Buch zu lesen. War das nicht so“

„Ja. Und es ist immer noch so. Ich fühle mich genau gleich geführt, ob das Buch ‚christlich‘ ist, oder nicht, spielt keine Rolle.“

„Und in diesen anderen Büchern hast du jetzt also Gott gefunden?“ Mit einem zwischen Hoffnung und Skepsis schwankenden Blick hob er den Kopf.

„Nein. Ich versuche ihn zu lesen“, antwortete sie. Wenn meine Theorie stimmt, kann man die Gemeinsamkeiten dieser Aussagen zusammenfassen und dann müsste das ein vollständigeres Bild von Gott geben, falls es sowas überhaupt gibt. Manchmal weiss ich durch die Aussage eines Nichtchristen, der über Spiritualität redet, plötzlich, wie eine Geschichte in der Bibel gemeint ist.
Vielleicht haben wir mit der Bibel einfach die deutlichsten Aussagen über Gott und dieses Bild hat ein paar Schattierungen mehr, aber in den anderen Religionen und Überzeugungen findet man ihn ebenso.“

Jetzt war ihr Gespräch ganz woanders gelandet. Eigentlich hätte sie ihn darauf hinweisen wollen, dass er in einer schweren Depression steckte und ihn bitten, dringend etwas dagegen zu unternehmen, bevor es zu spät wäre. Was, wenn ihm das niemand sagen würde? Und was, wenn er nichts damit anfangen könnte, es abstreiten würde?
Andere Menschen können den Stein nicht von deinem Herzen wegnehmen, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Du selbst kannst es auch nicht. Aber du kannst hinsehen, das beim Namen nennen, es zugeben. Du kannst in Gedanken dein Herz in beide Hände nehmen und es diesem unbekannten Wesen Gott hinhalten: „Schau, so sieht’s aus und ich kann es nicht ändern.“ Du musst nicht mal darum bitten, dass er es ändern möge. Du musst es nicht mal ändern wollen. Es ist nur dieser winzige Schritt, immer und immer wieder. Hundertmal am Tag, manchmal.

richtig und falsch

Je älter man wird, desto weniger genau weiß man, was richtig und falsch ist.

Junge Menschen mit feurigen Argumenten, flammenden Statements, total klaren Ansichten und einem radikalen Leben nach ihren Grundsätzen, wie haben sie mich beeindruckt und fasziniert. Ich wollte so sein, genau so. Und ich war es auch. Ich hatte zu allem eine Meinung und vom Rest eine Vorstellung. Das Leben musste so und so sein, nicht anders. Wenn es anders war, kämpfte ich. Und ich schwor mir, nie resigniert und abgelöscht rum zu laufen, wenn ich älter würde. Das Feuer wollte ich im Inneren behalten. Es muss eines Tages aus meinen Augen glitzern, wenn ich alt bin, dachte ich.

Noch bin ich nicht alt. Aber irgendwann zwischen dreissig und vierzig habe ich mich sehr verändert. Und das ist auch schon wieder eine Weile her. Ich bin gelassen geworden. Weitsichtiger. Toleranter. Grosszügiger. Weicher. Ich sehe die Dinge nicht mehr so klar weil ich einfach zu viel erlebt und gesehen habe, als dass ich ungefragt an meinen alten Glaubenssätzen festhalten könnte. Die meisten Menschen aus meinem Umfeld machen es anders und sehen dabei nicht unbedingt erlöst oder glücklich aus.

Ich weiss immer weniger genau, was richtig und falsch ist.
Wo hört Zivilcourage auf und wo fängt das Einmischen in die Privatsphäre des anderen an? Wann habe ich ein Recht, jemanden zu korrigieren? Habe ich das überhaupt ungefragt? Oder bin ich feige und blind für die Not des anderen? Muss ich die Überzeugungen der anderen teilen, wenn ich in einer Gemeinschaft mitarbeiten möchte? Hintergehe ich sie, wenn ich ihre Worte brauche, um Gott zu beschreiben, auch wenn ich selber ihn so nicht beschreiben würde weil er unbeschreibbar ist? Ist es ein Übergriff, wenn ich jemandem beherzt, aber ungefragt helfe? Darf ich immer meinem Herzen folgen? Wenn ja, wie finde ich heraus, ob es mein Herz ist, das da spricht? Ist das, was ich als falsch oder negativ bezeichne, falsch oder negativ? Oder einfach nur anders? Was ist Wahrheit? Und wer darf und kann sagen, was Wahrheit ist und was nicht?

Früher meinte ich, dass ich diese Fragen immer klarer beantwortet könne, je älter ich würde.
Es ist genau umgekehrt.

 

Geheimnisvolles Leuchten

Vor ein paar Tagen habe ich eine verblüffende Entdeckung gemacht.
Seit kurzem haben wir endlich eine schnelle Internetleitung und mehr als nur unsere fünf Schweizer TV-Sender. Die nächste Anschaffung nach der Aufschaltung des Services war ein Kopfhörer. Ich mag nämlich nicht dauernd keifende Frauenstimmen in meinem Wohnzimmer, und Figlia guckt sich grad durch alle bei Teens beliebten Schrott-Dokus. In denen muss anscheinend ständig irgendwer irgendwen anschnautzen. Das möchte ich mir nicht reinziehen. Das ist mir schnell zu viel weil mich das Geratsche und Gezicke ganz kribbelig macht.

Letzthin wollte ich meiner Tochter für einen Moment Gesellschaft leisten und erwartete schon den Zickenkrieg. Aber ich blieb ganz überrascht etwas länger sitzen weil mich das, was ich auf dem Bildschirm sah, beruhigte, statt aufregte. Ein kleiner Elefant stolperte etwas unbeholfen um seine Mutter herum und wusste nicht so recht, was er von der Dusche halten sollte, die ein Tierpfleger den beiden gerade offerierte. Ein Känguruh achtete sorgsam darauf, dass sein Junges beim Herumhüpfen nicht aus dem Beutel fiel. Andere Tiere, deren Namen ich vergessen habe, spielten ausgelassen miteinander.

Ich blieb sitzen und erinnerte mich, dass die Schöpfung immer diese Wirkung hat.
Wie gut kann doch der Weitblick von einer Anhöhe, der Blick über den See oder eine verschneite Bergkette mein durcheinander geratenes Inneres wieder glätten und ordnen. Wie wohltuend schön das Lied einer Amsel am frühen Morgen ist! Wie staune ich über das durchsichtige Leuchten des rosablauen Himmels, das niemand malen könnte. Ein paar Sekunden reichen, und schon breitet sich in meinem Herzen Ruhe aus.

Sogar durch die Mattscheibe entfaltet sich diese geheimnisvolle Wirkung. Frische, kühle Luft strömt in meine Seele und füllt jeden Winkel mit neuem Atem.

Es ist das Licht der Liebe, das aus allem und durch alles strömt.

Neues, altes Vokabular

Immer mehr spüre ich, dass die alten Bilder und Worte über den Glauben wie ein Gefäss sind, in dem das, was ich sagen möchte, enthalten ist. Dass diese Vorstellungen am besten jene Haltung in meinem Herzen bewirken, welche wichtig und nötig ist, zu entwickeln.
Es geht immer um die Haltung, die man innerlich hat, nie um das Was, aber immer um das Wie.

Wenn ich also in Bezug auf Erwartungen darauf vertraue, dass Gott die Fäden in der Hand und den Adlerblick hat,
dass er mir nur auflädt, was ich zu tragen vermag,
dass er mich aber herausfordern möchte, weil er mich fördern will,
wenn ich daran glaube, dass er mich mit allem, was ich brauche, versorgt,
dann kann ich gegenüber dem, was mir begegnet, jene demütige, freudige, innerlich bejahende Haltung entwickeln, die mich die Dinge anpacken lässt. Dann kann ich allem in jener Haltung begegnen, wie man einer Überraschung entgegen geht. Dann muss ich nicht werten, was mir begegnet, ich muss es nicht schubladisieren, weil alles aus einer Hand kommt, weil alles durch eine Hand gegangen ist.
Das Leben ist massgeschneiderter Individualunterricht. Es sind exklusive Einzellektionen mit d e m Coach.

Ich wünsche dir und mir, dass wir das mehr und mehr so betrachten können.

je älter, je unglücklicher?

Peter, ich danke dir für deine Fragen. Das ist meine Antwort auf deine Kommentare zu Es ist, was und wie es ist.
Aber ich schreibe auch für alle anderen, die hier lesen.

Ja, je mehr ich bewerte, desto unwahrscheinlicher wird das Glück. Ganz allgemein.
(Und Glück ist ja nicht nur, eine Beziehung zu haben. Manch einer, der in einer solchen ist, würde das Gegenteil behaupten ;-))

Es gibt für mich sowas wie zwei Handlungsseiten.
Die eine ist eine kontrollierende, bestimmende. Zumindest meine ich, ich könne alles steuern. Auf dieser Seite ist Bewerten. Ist Eingreifen. Ist mir vorstellen, wie ich es gerne hätte. Ist auch, mir ausmalen, wie schön etwas sein wird. Ist alles in die Wege leiten, damit es so wird. Selbermachen. Ist auch mir vorstellen, wie andere dann reagieren und handeln und entscheiden. Ist planen bis ins kleinste Detail und alles bestimmen wollen. Und sind Enttäuschungen weil: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. So gut wie immer.

Auf der anderen Seite ist ein Gewährenlassen. Ein Ja zu dem, was ist. Ein einfaches Betrachten (statt bewerten). Also Aufmerksamkeit und Bewusstsein.
Ich schaue es an und sage, so ist es, ohne zu werten, ob das gut oder schlecht sei. Das kann ich ja nicht wissen, weil ich nicht mein ganzes Leben sehe und nicht die Auswirkungen, die eine Sache wirklich hat.
Und dann kann ich handeln, wenn etwas nicht so ist, wie ich erträumt habe. Gerade so weit, wie ich für mich selbst handeln und entscheiden kann, so weit, wie es in meinen Möglichkeiten liegt.
Nachher muss ich wieder loslassen. Mich vom Fluss des Lebens tragen lassen und schauen, was jetzt passiert.
Wie andere auf mein Handeln reagieren, liegt weder in meiner Verantwortung noch in meinen Möglichkeiten, es zu steuern.

Seit langer Zeit bin ich auf dem Weg, von dieser einen Seite zur anderen. Es ist nicht ein Weg von A nach B, sondern er findet eher in Kreisen statt. Ich bin noch lange nicht fertig damit und es gibt immer wieder eine neue Schlaufe und nochmal eine, wenn ich Details noch immer nicht begriffen und verinnerlicht habe oder wenn ich noch eine weitere Facette dazulerne.
Dieser Weg ist nicht einer, den ich mir einfach so befehlen kann, sondern einer, der langsam in mir wächst. Einer, auf dem ich mich von meinem Inneren führen lasse.

Ich bin viel gelassener geworden. Ich habe erlebt, dass es viel besser kommt, wenn ich es Gott, dem Universum, dem Leben, oder wie du dieses Allumfassende nennen möchtest, überlasse, statt es mit meiner kleinen, begrenzten Sicht selbst in die Hand zu nehmen. Ich bin deshalb nicht passiv (siehe oben).

Ich werde glücklicher und glücklicher, je weiter ich gehe und je älter ich werde. Das heisst nicht, dass ich ständig mit einem Lächeln durch die Gegend laufe, sondern, dass ich die Kraft und das Leuchten in mir immer deutlicher spüre. Ich komme der Liebe immer näher. Und das zeigt sich nicht in einer äusseren Beziehung – eine solche liegt gerade in Scherben – sondern in einem Wachsen nach innen, zu dem Ort in mir, der pure Liebe ist.

Eines Tages, vielleicht gerade dann, wenn du gelernt hast, mit dem Fehlen dessen zu leben, was du dir so sehr wünschst, wird es an deine Tür klopfen.
Ich wünsche dir von Herzen Geduld, Vertrauen und Zuversicht. Bleib dran! Du wirst den Weg finden.
Und wenn mein Schreiben hier ein bisschen Licht bringen darf, so ist es das, was ich mir davon erhoffe und weshalb ich es tue.

Kreuzungen

Du kannst dein Leben nicht an einer Kreuzung verbringen. Irgendwann musst du eine Entscheidung treffen und weitergehen. Das ist besonders schwer, wenn du zwei Wegen gegenüberstehst, die beide gleichermassen Vor- und Nachteile haben, die beide gleichermassen richtig und falsch sind.

Im Vorfeld solcher Schritte machst du dir tausend Gedanken. Du überlegst dir die praktische Seite. Das ist eine Vorbereitung. Aber niemals kannst du wissen, was dich erwartet, wenn du den Sprung gewagt hast.
Einen kleinen Teil kannst du umsetzen. Du kannst dir überlegen, was du gerne wie haben möchtest. Was du brauchst. Was du willst. Aber du kannst diese Dinge nicht kalkulieren.

Eines Tages musst du einfach tun, was du eigentlich schon lange wolltest, auch wenn der Verstand laut schreit und sich wehrt. Du musst es tun, weil du weisst, du würdest in zwanzig Jahren bitter bereuen, es nicht getan zu haben. Du musst es tun, weil du weisst, es wird immer gleich bleiben, wenn sich nichts ändert. Du musst es tun, weil du weisst, dass du sonst deine Selbstachtung verlierst.
Du machst dich auf und gehst, zu tun, was du tun musst. Du gehst durch den Sturm. Du springst ins Nichts. Das Fliegen bei diesem Sprung ist nicht so angenehm, weil du nicht weisst, wo du landest.

Erst, wenn die Wellen wieder glatt sind und du wieder festen Boden unter den Füssen hast, weisst du: Es war das Beste, was du tun konntest, auch wenn du nicht weisst, wie es nun weiter geht.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass die praktischen Dinge sich immer wunderbar ineinander fügen, wenn du bereit bist, deinem Inneren zu folgen und dies auch tust. Das gilt für die materielle Versorgung. Das gilt für die Berufung und den Beruf. Das gilt für Beziehungen. Das gilt für das ganze Leben.

Wenn etwas sein soll, hast du keine Chance, es zu verhindern.
Wenn etwas nicht sein soll, nützen alle Bemühungen nichts.
Das ist keine Aufforderung zurückzulehnen, die Hände in den Schoss zu legen und zu warten, bis sich etwas ändert. Dein Herz kann dich nur führen, während du unterwegs bist.

 

Mit der Entscheidung, deinem Inneren zu folgen, schaffst du dir selbst Raum, das zu sein und zu werden, was du bist. Du gibst dir die Erlaubnis, es zu sein, egal, was andere Leute denken. Du glaubst deinem Inneren. Du spürst, es ist richtig. Es war höchste Zeit, diesen Schritt zu tun. Es war, damit ich weiter komme. Ich habe die Kreuzung verlassen. Ich habe mich nicht für diesen oder jenen Weg entschieden. Ich habe mich für mich entschieden.

still und leise

Es ist still geworden hier. Ich weiss. Gerne würde ich meinen Weg mit euch teilen, aber das ist oft nicht möglich weil es Rundumerklärungen, die ganze Geschichte, brauchen würde um zu sagen, was ich sagen will. Und das geht nicht. Da sind andere Personen involviert und ich habe grosse Scheu, Details zu schildern, auch wenn ich weiss, ich schreibe anonym. Es gibt doch ein paar Leute, die hier lesen und mich kennen. So viel ich vor ihnen auch laut sagen könnte, so viel kann ich schreiben.

So versuche ich nun, den roten Faden irgendwie wieder zu finden.
Das Thema Erwartungen begleitet mich noch immer. Ich übe mich darin, nichts zu erwarten und meine Wünsche zwar zu haben und dem Himmel anzuvertrauen, aber darüber hinaus nicht festzuhalten. Das ist besonders dann schwierig, wenn ein eintreffendes Ereignis durch mehrfache Äusserungen schon mit Vorstellungen „aufgeladen“ ist. Wenn man Dinge auf einen bestimmten Zeitpunkt verschiebt: „Das machen wir dann, wenn…“ So in der Art.
Sehe ich das Ereignis auf mich zukommen, sind alle diese Bilder da. Ich weiss zwar, dass ich loslassen soll, nicht erwarten soll. Ich bete sogar, es möge nicht eintreffen, wenn es noch nicht Zeit sei dafür. Dann trifft es ein und nichts von diesem Aufgeschobenen passiert.

Auf meinem Kalender lese ich:

Das Wesen des Gebets besteht nicht darin, dass wir etwas von Gott begehren, sondern dass wir unsere Herzen Gott öffnen.
Sadhu Sundar Singh

Habe ich also falsch gebetet? Hätte ich sagen sollen: Gott, mach mein Herz offen für das, was kommt, auch wenn das, was kommt, nichts ist?

Vielleicht hätte ich das können, wenn ich geistesgegenwärtig genug gewesen wäre.
Aber da sind meine Muster, die ablaufen, ohne, dass ich ihnen mehr entgegenhalten könnte, als im Nachhinein die Erkenntnis, dass es wieder passiert ist.
Da hilft meiner Erfahrung nach nur das Zugeben, dass ich nichts ändern kann. Dieses Eingeständnis weicht etwas auf in mir. Es ändert still und leise meine inneren Bedingungen, mit denen ich das nächste Mal auf einen solchen Moment zugehen werde.

Eine Frage bleibt doch: Ist Vorfreude etwas, was Enttäuschungen provoziert?

Puzzleteile

Im letzten Beitrag kamen wir auf das Thema Gottesbilder. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass es mich sehr freut, mit euch ins Gespräch zu kommen, und es ist schön zu sehen und zu spüren, dass ich mit meinen unbeholfenen Worten über diese grossen Themen etwas in Bewegung bringen darf.
Wenn jeder den anderen an seiner Position stehen lässt, wissend, dass wir alle nur einen Teil des Bildes kennen, dann können wir einander bereichern und weiterbringen.

Vielleicht entsteht beim Lesen meiner Antworten auf den letzten Beitrag der Eindruck, ich sagte ja zu allem, was ihr schreibt, um niemanden zu brüskieren. Nein. Ich sage ja, weil ich es so sehe. Ja, aber das widerspricht sich ja, denkt ihr?

Nein. Gott ist gross. Unfassbar. Und eigentlich darf ich das schon nicht schreiben, denn du machst dir ein Bild, wenn ich diese Worte brauche. Gott ist nicht fassbar in einem Bild und er ist auch nicht bloss ein Bild. Und doch können wir nicht anders von ihm reden als in Bildern.

Jeder von uns macht sich ein anderes Bild. Wir stehen an verschiedenen Orten. Keine zwei Orte sind gleich. Daher sind auch keine zwei Ansichten gleich. Wenn ich nun deine Position, oder eine ähnliche, schon mal eingenommen habe, dann verstehe ich, was du meinst und kann aus meiner Erfahrung sprechen. Wenn du meine Position noch nie eingenommen hast, dann weisst du nicht, wovon ich spreche.

Ich muss ein Bild zu Hilfe nehmen, um zu erklären, wie ich das meine.
Nehmen wir an, da ist ein Apfel. Auf deiner Seite ist er grün, auf meiner rot.
Ich sage: „Dieser Apfel ist rot.“ Du sagst: „Dieser Apfel ist grün.“ Beide Aussagen stimmen und enthalten doch nicht die ganze Wahrheit.
Wenn ich deine Position schon einmal eingenommen habe, und gesehen habe, dass der Apfel auch grün ist, dann verstehe ich dich und kann deine Aussage bestätigen. Wenn nicht, denke ich, du sagst etwas Falsches.

Oder stellt es euch wie ein Puzzle vor. Jeder von uns sieht das Universum, den sichtbaren, wie den unsichtbaren Teil, verschieden, weil wir an einem anderen Punkt stehen. Jeder trägt einen Teil zum Gesamtbild bei. Das hat schon wieder verschiedene Ebenen. Vielleicht musst du lange suchen, bis du einen Ort gefunden hast, an dem dein Puzzleteil passt. Für jeden ist das ein anderer Ort. Es geht nicht um die Äusserlichkeiten, um die Bilder und Worte, die wir verwenden. Es geht um das Innere. Es geht um Begegnung. Um Beziehung. Um Liebe. Um Sein. Es geht um alles.

Diese Erlebenswelt des Geistigen ist nicht meinem Verstand zugänglich, aber meinem Herzen und meinem Geist. Und beide brauchen keine Worte dafür. Erst wenn ich es mitteilen möchte, muss ich es „runterbrechen“ auf Begriffe, auf Namen, auf Erklärungsversuche.

Ich verwende das Wort Gott weil ich kein anderes habe. Die Bilder, die für mich diesen Begriff füllen, sind keine Bilder mehr. Keine Farben, Klänge, Düfte, Formen. Keine personalen Vorstellungen. Keine Vorstellungen davon, wo dieser Gott zu finden wäre. Gott ist ein Gott der Überraschung und der Gnade. Er ist immer anders als ich denke und begegnet mir nie zweimal gleich. Und doch erkenne ich die Gottesbegegnung weil sie mich auf eine ganz bestimmte Weise innerlich berührt.

Ihr, die ihr liebt und in Beziehung zu einem Menschen steht, wisst, dass es in der Liebe genau so ist. Keine zwei Momente sind gleich. Die Liebe ist immer wieder anders. Immer wieder neu. Überraschend. Die Liebe ist nicht Begriffen zugänglich. Oder Bildern. Obwohl wir welche brauchen und sie mit Erinnerungen füllen. Die Liebe aber können wir damit nicht fangen, nicht wirklich mitteilen, fassen, vermitteln. Die Liebe ist etwas, das sich auf der geistigen, seelischen Ebene abspielt. Wenn wir sie erfahren, dann wissen wir nicht, ob der andere genauso fühlt und doch hören wir, dass er ähnliche Worte für sein Erleben verwendet. Erleben muss man sie selber, um zu wissen. Ich kann niemanden zum Lieben überreden. Niemanden zum Lieben bekehren. Der andere muss sich immer selber und freiwillig auf den Weg machen. Gerade so weit wie er es verstanden hat.
Und so ist das alles auch mit Gott.

Wir versuchen, ihn auf der kognitiven Ebene zu erklären und die Paradoxa, die uns begegnen aufzulösen. Womöglich unterlegt mit Zitaten aus heiligen Büchern. Wir versuchen, Gott in ein Bild zu fassen. Das ist gar nicht möglich. Er ist so anders und so viel grösser, tiefer, weiter, näher als wir uns je ausdenken könnten. Im Herzen spüren wir ein wenig davon. Nur ein wenig. Und so wird es bleiben. Wir würden es gar nicht aushalten, den ganzen Gott zu sehen und zu spüren. Ein Teilchen davon reicht.

Auch das ist nur ein Bruchteil des Bildes. Auch das sind alles unbeholfene Worte und Versuche, es zu erklären.
Warum ich das dennoch tue? Ich glaube, es gehört für die einen zum Prozess des Gottfindens, dass sie sich Gedanken machen und Erklärungen suchen. Nicht für alle. Aber vielleicht dürfen meine Worte etwas in dir anrühren und dich anziehen, nach diesem grossen Gott zu suchen, der schon immer da war. Ganz nah.