Wie eine Lupe oder ein Verstärker

Das meiste, was ich hier schreibe, bleibt Entwurf. Wie ein Tagebuch, ein Brief an mich selbst, zum Veröffentlichen zu belanglos, zu wirr. Heute veröffentliche ich es wieder einmal, stolpernde, ungeschliffene Sätze und Gedanken ohne Adressaten.
Und mein Pseudonym passt nicht mehr – Schneiderin. Wann habe ich zuletzt etwas genäht? Vermutlich war es ein Gegenstand, den ich für meine SchülerInnen ausprobiert und währenddessen eine Fotoanleitung erstellt habe.

Die Pandemie – das Wort fühlt sich trotz Allgegenwärtigkeit fremd und ungelenk an – hat ans Licht gebracht, was klemmt und hapert, wo Dinge nicht sind, wie sie sein sollten, nicht nur in den Ländern und auf der Welt, auch in meinem Leben. Sie verstärkt das, was ist, wie eine Lupe und unterscheidet nicht zwischen positiv und negativ.
Wo sind meine Freunde? Für wen bin ich wichtig? Wann habe ich überhaupt zuletzt ein Gespräch geführt, das etwas tiefer ging, als bloss bis zu dem, was mich tagtäglich in Atem hält? Das ist nicht wenig.

In erster Linie ist das ein Job, der für mich mehr als ein Job ist, aber von dem ich nicht weiss, wie relevant er tatsächlich für die anderen, vor allem für die Adressaten ist. In dieser Zeit wird mein Fach bloss am Rand erwähnt, die Vorgaben dazu sind schwammig und was ich gerade bis an die Grenzen stemme, habe ich mir selbst auferlegt. Die Zeit, die ich sonst im Schulzimmer stehe, plus jene meiner üblichen Vor- und Nachbereitung, überschreite ich fast nicht. Allein die Aufgaben sind ganz andere, ermüdende, auslaugende. Ich erstelle leicht verständliche Anleitungen mit knackigen Texten und aussagekräftigen Fotos, packe stundenlang Materialkits, also zum Beispiel Stoffstücke, Stecknadeln, Faden, Stopfwatte und eine Nähnadel für meine 134 SchülerInnen und habe meine Mailadresse und die persönliche Handynummer mehrfach für direkte Rückfragen angeboten, was rege genützt wird. So verschwimmen die Grenzen zwischen geschäftlich und privat noch mehr, als sie es mit den Daten in der Wolke und dem mobilen Computer eh schon tun.
Mein Fach wird aber in den Vorgaben von Bund und Kanton wie gesagt nicht erwähnt. So rein theoretisch müsste ich also nichts tun, ausser mein Schulzimmer ausmisten und wunderbar ausgestaltetes, neues Anschauungsmaterial kreieren und laminieren. Es gibt Fachkolleginnen, die das genau so handhaben, ich kann das nicht.
Die Rückmeldungen von Eltern geben mir Recht. Meine Aufgabenstellungen werden mehrheitlich geschätzt. Ich gebe ja bloss eine Zeitspanne vor, nicht aber konkret zu erreichende Wochenziele, was die Planung und Aufgabenstellung für mich aber nicht einfacher macht.
Mein Fach hat sich zur Beschäftigungstherapie für gelangweilte, sich unfreiwillig in Hausarrest befindende Kids und homeschoolinggeplagte Eltern gewandelt, und manchmal sind meine Aufgaben wohl eine echte Herausforderung, aber meistens eine willkommene Parkmöglichkeit für Nachwuchs, der zu sehr an ein vorgegebenes Programm gewöhnt ist.
Daneben versuche ich ein Nachdiplomstudium für ein Einzelfach zu absolvieren, in dem alle Aufträge auf Distanz doppelt so lange dauern und halb soviel nützen, wie im Normalbetrieb. Ich kenne also ein wenig beide Seiten.

Aber das ist es nicht, was ich eigentlich erzählen wollte. Ich wollte über die Lupenfunktion einer Krise nachdenken und darüber, wann ich denn zum letzten Mal ganz ungeschminkt mit einer Freundin darüber geredet habe, was mich wirklich beschäftigt. Ich weiss es nicht mehr.
Der Platz meiner besten Freundin ist seit vier Jahren leer.

Wenn man Menschen verliert, die einen fast das ganze Leben lang kennen, und alle anderen Menschen, von denen man so etwas sagen könnte, nicht mehr wirklich Teil des eigenen Lebens sind, dann ist es, als ob ein Stück von einem fehlen würde, abgeschnitten und in der Zeit zurückgelassen.
Ich habe verstanden, was damit gemeint ist, dass mit dem Tod eines Menschen ein Teil von einem selbst mitstirbt. Und ich habe begriffen, dass neue Menschen nicht einfach kommen und ein Teil meines Lebens, ein Teil von mir werden können. Sie kennen meine Geschichte, mein früheres Ich nicht. Wenn ich erzähle, muss ich weit ausholen, wo vorher mit ein paar Andeutungen alles gesagt war.
Ich werde auch nicht so nebenbei und auf die Schnelle Teil ihres Lebens. Alle Menschen, die ich kennen lerne, haben bereits ihr Netz, ihr volles Leben und nur begrenzt Zeit übrig für eine neue Freundschaft. Aber eine solche, eine wirklich gute solche bräuchte genau das.
Das kann auch gut sein, ja. Ich könnte sozusagen neu anfangen und mich neu erfinden. Aber irgendwie fehlt mir ein Teil von mir oder der Zugang zu diesem Teil von mir.
Gibt es einen Code, um ihn wieder aufzuschliessen? Brauche ich den Teil denn noch? Bin ich nicht vollständig ohne ihn? Ich sage immer, im Innersten sei ich noch in den Zwanzigern und das, was mich ausmache, leuchte noch  immer in der gleichen Farbe wie damals, nur um Erfahrungen, Ernüchterungen und eine grosse Portion Gelassenheit reicher.

Trotzdem wünsche ich mir eine Freundin, die mich kennt und vor der ich kein Blatt vor den Mund nehmen müsste. Jemanden, dem diese höfliche Distanziertheit fehlt, die als Barriere immer zwischen uns ist. Jemanden, der anrufen würde, um spontan vorbei zu kommen, der nachfragt, wie es mir geht und wie ich das jetzt genau mache mit den Homeschooling-Aufgaben. Jemanden, der nicht peinlich berührt eine Augenbraue hochzieht oder weg sieht, wenn ich an den falschen Stellen laut herauslache. Jemanden, der es nicht persönlich nimmt, wenn ich mal eine Weile nicht anrufe. Jemanden, der mit mir über Gott und die Welt philosophiert und die echten Fragen zulässt, sie stehen lässt und aushält mit mir und nicht Antworten präsentiert.
Fange selber damit an, so jemand zu sein, sagen alle.

Ich glaube, ich muss zuerst den Schlüssel wieder finden und dann in jenen Raum hineingehen. Ich muss die Fensterläden öffnen, Licht und Sonne hereinlassen, frische Blumen auf den Tisch stellen und Kaffee kochen.
Und dann bleibe ich dort sitzen um dir zu danken, dass du da warst, und ich lasse dich ziehen, damit du bei mir bleiben kannst, wenn du willst.

nicht fliehen

Jesus lebt in Fülle, in Stille, in Gebet, in Hingabe, in absoluter Bedingungslosigkeit und in absolutem Dasein, er weicht nicht zurück.

Pyar Troll-Rauch

Wenn es mir gelingt, in dieser Stille und Bedingungslosigkeit zu sein, dann kann ich in allem eine wunderbare Ordnung und Schönheit ahnen.
Dann verliert die Schwere ihr Bedrückendes, und die Ausgelassenheit hebt nicht vom Boden ab.
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Mit meinem Nicht-einverstanden-Sein mit dem, was ist, meinen Bedingungen, wie es sein müsste, bevor ich gehe und handle und lebe, verliere ich Stille und Bedingungslosigkeit.
Verliere ich den Weg im dichten Nebel.
Verliere ich Frieden.
Klarheit des Handelns.
Sehe ich das Licht, das mich führt, nicht mehr.

Das Leben ist ein Seilpark

Kaum hat man erleichtert aufatmend seine Füsse auf den festen Boden einer Plattform gesetzt, ein bisschen die Aussicht und das erklommene Wegstück bewundert, wird man geheissen, die nächste Etappe in Angriff zu nehmen.
Wieder schwankend nach Sicherheiten und festem Untergrund suchen, was es beides, soviel ist klar, nicht gibt.
Wieder schwindelerregende Höhen.
Wieder ein Abschnitt, bei dem man als erstes denkt, man schafft es nicht.
Wieder tastend die Stelle suchen, wo man den Fuss als nächstes hinsetzen kann.
Wieder bleibt nur das Vertrauen in die eigenen Schritte und die eigene Kraft.
Wieder bleibt nur das Vertrauen, dass das Seil hält und das Wissen, dass ich meine Karabiner eingehängt habe.
Wieder bleiben nur Mut und der Schritt ins Leere.
Zum Glück weiss ich: Da kommt irgendwo eine nächste Plattform.

Alles loslassen. Das Loslassen. Das Wünschen. Das Wollen. Das Erwarten. Sogar das Hoffen.

Wünschen – erwarten – hoffen. Unterscheidet sich eins vom anderen? Ist Enttäuschung immer das Ende einer Täuschung, das Ende einer (falschen) Erwartung oder könnte man sie auch zerschlagene Hoffnung nennen?

Sicher ist, dass ich mit wünschen, erwarten und hoffen irgendwie eine innere Kraft aufwende und benütze, von der ich denke, dass sie in der Lage ist, mich der Erfüllung meines Wunsches ein bisschen näher zu bringen.

Die einen Menschen sagen mir dann, dass ich mit meinem Wünschen und Sohabenwollen meinen eigenen Willen durchsetzen möchte, mein Leben nicht wirklich der Herrschaft Gottes unterstellt habe und er also nicht an erster Stelle sitzt und nicht über mich verfügt.
Die anderen sagen mir, dass dies das Ego sei, das sterben müsste und von dem ich frei werden muss, damit ich weiterkomme.

Sie sagen beide dasselbe mit anderen Worten.
Ich kann mein Leben Jesus übergeben. Ich kann das Ego loslassen. Es ist beides dasselbe.

Es geht allein um meine innere Haltung. Die Haltung, dass ich vertrauensvoll weitergehe, nichts erzwingen oder beeinflussen will. Ich werde dennoch auf rasantem Weg das erhalten, was ich mir in meinem Tiefsten wünsche. Zu dieser Haltung gehört aber, dass ich die Erfüllung nicht mit meinem Loslassen bezwecken möchte. Ich lasse nur los. Ohne Bedingung.

Solches Loslassen, wirklich ehrliches Weitergehen, ohne zu wollen, was ich ersehne, ist ein Geschenk, Gnade.
Einerseits.
Andererseits bereite ich mit meinem Wunsch und Bestreben, auf solche Art loszulassen, den Boden dafür.
Die wohlbekannten Gleichzeitigkeiten und Paradoxa auf der geistigen Seite des Weges.

Das grosse, zusätzliche, göttliche Geschenk, das jenseits solchen Loslassens auf mich wartet, ist die Erfüllung dieser innersten Wünsche. Sie können nicht anders, als erfüllt werden, denn sie sind aus Gott. Sie erfüllen sich zu ihrer Zeit und die ist dann, wenn ich völlig frei weitergehen kann, ob sich dieser Wunsch erfüllt, oder nicht.

anders

Ganz langsam und leise verändert sich etwas in mir. Die Dankbarkeit lässt Mauern bröckeln und wischt die Spinnweben weg, putzt die Scheiben blank.

Heute ist Traurigkeit in mir. Aber das Leuchtende wird nicht geschmälert vom Grau der Bedrücktheit. Die dankbare Betrachtung des Augenblicks, hat etwas tief verändert. Ich habe unbemerkt angefangen loszulassen, ganz allgemein, nicht bestimmte Dinge, einfach, weil ich die Erfahrung mache, dass es in jedem Augenblick etwas gibt, wofür ich dankbar sein kann, etwas, das allem einen Sinn gibt.
Ich glaube, ich habe aufgehört, mich in meinem Leben und in neuen Situationen einzurichten. Auch nicht in den kleinen Dingen. Und das empfinde ich zum ersten Mal als richtig und gut. Meine Heimat ist da, wo dieses Leuchten und diese Kraft sind. Es ist das, was bleibt, auch durch Schmerzen und Traurigkeit hindurch. Und selbst das bleibt nicht, wie es ist. Es wird tiefer und anders.

vorbereitet

In den letzten Tagen, Wochen habe ich ganz langsam etwas begriffen.

Mich auf eine Situation gut vorzubereiten, muss nicht einschliessen, dass ich etwas erwarte.

Früher tat ich das. Ich war einsame Spitze darin, Dinge zu planen, Ferien zum Beispiel oder irgendwelche Anlässe. Ich war immer auf jedes Detail vorbereitet. Aber: Ich erwartete diese Details auch. Und wenn es nicht kam, wie ich mir vorgestellt hatte, war ich enttäuscht. Das bezog sich auf sämtliche Lebensbereiche.

Aber ich kann mich auch vorbereiten, so gut wie möglich, ja, sogar so umfassend, so perfekt, wie möglich, ohne zu erwarten. Im Gegensatz zu früher heisst „möglich“ manchmal „nötig“, und ich überschreite meine Grenzen darin nur noch selten.
Ich habe also alles vorbereitet, z.B. für eine Lektion, aber wenn ich dann drin bin, muss ich nicht mein Programm „abspulen“, sondern meine Vorbereitung ist wie ein Werkzeugkoffer, aus dem ich entnehme, was ich gerade im Augenblick für wichtig und nötig erachte.

Ich habe verstanden, dass ich dieses Prinzip ebenso auf sämtliche Lebensbereiche übertragen kann. Es ist gut und darf noch immer eine meiner Stärken sein, mich vorzubereiten. Ich muss damit aber keine Erwartungen verknüpfen. Wenn es anders kommt, dann nehme ich etwas anderes aus meinem Koffer oder bereite mich eben auf die neue Situation vor.