Gedanken

Das Denken ist nie in der Gegenwart, denn die Gegenwart kann man nicht denken.
Nur fühlen, sehen, schmecken, riechen.
Wobei schon das Sehen nur für die Vergangenheit funktioniert.

Vielleicht sind die Dinge dann Gegenwart, wenn sie bei uns angekommen sind.
Dann hätte jeder von uns von den gleichen Ereignissen andere Gegenwärtigkeiten. Andere Wahrheiten.
Dann wäre Zeit relativer, als wir sie uns denken.

Vielleicht ist darum der Atem das Gefährt in die Gegenwart.
Das einzige, was jetzt da und nah ist und ich hören, spüren und sehen kann.
Hier erzeugt und wieder vergangen.
Sekunde für Sekunde.

Der Verstand kann dieses Tor in das gegenwärtige Sein nur umkreisen.
Hineingelangen muss man anders.

Manchmal öffnet es sich.
Unvermittelt. Ungesucht.

Unbeholfen betrachte ich alles. Weiss nicht, wie ich mich bewege.
Der nächste Gedanke lässt die Blase zerplatzen und ich bin wieder da.
Manchmal dauert es ein paar Augenblicke länger.
Aber schon der Versuch, mich umzusehen in diesem neuen Land reicht.

Und ich bin wieder da.
Kann nicht einordnen, was ich gerade erlebt habe.

Nur die Sehnsucht bleibt, dort bleiben zu können.
Bis ich so weit bin, jenes Land zu betreten, wann immer ich will.

Heimkehren.

Stille und Heimat

Gestern habe ich einen kleinen Ausflug auf „meinen“ neuentdeckten Berg gemacht.

Neuschnee lag, weisse Weite in sanften Schwüngen. Schneidend kalter Wind sorgte für Menschenleere. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel und glitzerte in tausend Kristallen.
Es war still. So still, dass jedes Geräusch einzeln an mein Ohr drang. Meine Schritte. Mein Atem. Das Bimmeln einer Kuhglocke von weit her. Stille füllte die Weite, die Luft und alles unter dem Himmel.

Ich atmete auf. In mir kam etwas zur Ruhe. Etwas lichtete sich. Bedrohliches verzog sich weit nach unten ins Tal, dort, wo das leise graue Rauschen herkam und mir sagte, dass es mich erwartet, wenn ich zurückkomme.

Heute Morgen weckte ich mich mit einem flotten Spaziergang durch den nahen Wald. Ich setzte mich kurz auf mein Bänkchen und sah in die Weite und in die Sonne. Jenes graue Rauschen der Stadt, das wie zäher Nebel in alle Ritzen und Knochen kriecht, füllte jeden Zwischenraum.

Zurück stapfte ich am Waldrand entlang durch die aufgeweichte Wiese, meinen Blick in der Weite am verschneiten, fernen Berg hängend, Verbindung suchend, Heimat suchend.

Ich erinnerte mich, dass ich manchmal als Kind extra an diesen Waldrand gekommen war, um diesen Berg zu sehen und Ruhe zu finden.
Mir war, als wäre er mein Verbündeter, damals und heute. Als ob unsichtbare Fäden mich verbänden mit ihm.

Ich sah mich, als kleines Menschlein über die Wiese und durch mein Leben stapfen, den Berg, der mir dabei zusieht und wusste doch, auch er ist nicht Heimat. Ich mache nur das Gefühl an ihm fest und an der Stille von gestern.
Beides verkörpert zutiefst das Lebensgefühl meiner glücklichsten fünf Kinderjahre, die ich in einem alten, abgelegenen Bauernhaus ohne Zentralheizung und Warmwasser verbrachte. Und es verbindet mich mit einem zweiten Ort, an dem ich als Erwachsene auf ähnliche Art Heimat fand.

Aber ich weiss, die Heimat, die ich suche, ist in mir. Sie ist immer da und verbirgt sich dennoch.
Die Sehnsucht nach ihr lässt mich suchen und manchmal finden. Sie schickt mich auf meinen Weg.

In meinem Inneren ist dieser Ort der Stille.
Manchmal geschieht das Wunder. Der Raum öffnet sich und in mir wird es mitten im grauen Lärm so still, wie es gestern auf dem Berg war. Keine Gedanken, die unablässig an meinem Ärmel zupfen und meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, etwas wollen und auf mich einstürmen. Nur Stille.

Der Unterschied ist so, wie der Grossstadtlärm gegen die Stille auf dem Berg.
Es wird hell und klar. Ich atme auf. In mir kommt etwas zur Ruhe und lichtet sich. Bedrohliches verzieht sich. Ich kann mich ausweiten. Etwas füllt mich auf. Die Quelle in mir.
Und dann nehme ich die Dinge einzeln wahr. Eines nach dem anderen und habe Zeit. Zeit, hinzusehen auf das, was ist. Zeit, es nicht verändern zu wollen. Zeit, es zuerst wahrzunehmen und ihm die Hand zu geben.

Die kleine, verborgene Tür zu diesem Raum finde ich leichter, wenn ich Orte der Stille be-suche.

Zwei wichtige Dinge

Das Tun muss in der nächsten Zeit im Vordergrund stehen. Sonst verlier ich mich.
Wenn man in Gedanken ist, dann ist man abwesend. In Gedanken verloren.
Dass hier das Verb verlieren gebraucht wird, kommt nicht von ungefähr. Man ist nicht bei sich selbst und schon gar nicht im Augenblick. Man ist nicht wirklich da, sondern abwesend in einem Land, in dem man allein ist und das es nur für einen selbst gibt. Jeder in seinem eigenen Land.
Das macht einsam. Und das macht vielleicht auch schrullig. Man verliert den Bezug zur Wirklichkeit. Ok. Das ist jetzt reine Spekulation. Ich weiss nicht, welches die wirklichere Wirklichkeit ist. Ist ja auch egal. Jedenfalls ist es die Welt, in der ich mich behaupten muss, in der ich lebe, bin, mit anderen in Beziehung trete.
Die Welt, in der ich liebe, und zwar nicht nur Liebe denke, fühle und bestenfalls auf geistigem Weg in Form von guten Gedanken und Gebeten versende, sondern die Welt, in der ich Liebe tue.
Und das sind, glaube ich, die wichtigsten beiden Dinge: da sein und lieben.