Neuanfang

„Ich habe auch viele, zu viele Ideen, was ich in meiner Freizeit machen könnte, aber null Motivation, etwas davon anzupacken.“ Er sagte es mit resigniertem Blick, wie einer der aufgegeben und abgeschlossen hat. Seine Stimme klang müde. Seine Augen blickten erloschen unter geschwollenen, schweren Lidern.

„Du könntest dich sozial engagieren“, schlug sie vor, in der Hoffnung, ihm damit soetwas wie einen Rettungsring zuzuwerfen. „In der Kirche zum Beispiel“, fügte sie hinzu.

„Die Kirche?“ Er schnaubte und warnte sie: „Ich mach jetzt einen faulen Spruch: Jesus ist für mich gestorben.“

Obwohl er seinen Scherz vorher angekündigt hatte, dauerte es ein paar Sekunden, bis sie begriff, dass er das Gegenteil von dem meinte, was der Satz auf den ersten Blick aussagte und dass er sich gleichzeitig mit seinem brillanten Sarkasmus über ehemalige Freunde lustig machte.
„Ja, ich habe meinen Glauben verloren, keine Hoffnung mehr, auch da“, antwortete er auf ihren entsetzten Blick.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie war er so weit gekommen? Das konnte doch nicht sein! Er hatte doch immer so überzeugt gewirkt. Er war doch derjenige gewesen, der seine Kinder religiöser erziehen wollte – im Nachhinein zumindest.
Er musste in einer schweren Depression stecken. Es war vollkommen logisch, dass er jetzt nichts mit dem Glauben anfangen konnte. Sie wusste genau, wie sich das anfühlte. Man geht in den Sonntagsgottesdienst, singt mit, lächelt, aber jedes der Lieder verhöhnt einen: Wo ist er jetzt, dein Gott? Jetzt, wo es dir am verschissensten geht, wo du kein Licht am Ende des Tunnels siehst, wo schwere Gewichte an deinem Herzen hängen, die dich langsam und unaufhaltsam in den Sumpf ziehen? Jetzt, wo du ihn am nötigsten hättest? Wo ist er, von dem sie sagen, dass er jeden Mangel ausfüllt? Der Allmächtige müsste doch nur mit dem Finger schnipsen, und alles wäre wieder gut, dir wäre wieder leicht ums Herz und du wüsstest genau, wozu du hier bist!
Sie kannte diese bitteren Gedanken genau. Und sie wusste, wie lange es gedauert hatte, aus diesem Sumpf wieder herauszukommen.
Depression ist wirklich etwas, bei dem einem der Glaube nicht weiterhilft. Jedenfalls nicht jener Glaube, der im Stil einer Selbsthilfegruppe oder eines schlauen Selbstverbesserungsbuches einem irgendwelche lapidaren Ratschläge um die Ohren haut. „Du musst nur x und y machen und darüber beten.“
Wenn man in diesem Stadium ist, hat man das alles längst ausprobiert. Genützt hat es nichts. Im Gegenteil hat es alles schlimmer gemacht.
Man fühlt sich als der totale Versager, als Christ zudem von Gott im Stich gelassen, und das tut unglaublich weh. Für alle anderen ist dieser Jesus gestorben, für dich nicht, denkst du. Wann du zum letzten Mal etwas gespürt hast, weisst du nicht mehr, wahrscheinlich hast du eh alles falsch gemacht. Mit raumgreifenden Schritten hat dich das Selbstmitleid eingeholt, mit eisernem Griff umschliesst es dein kalt gewordenes Herz. Jedes Gebet, jeder gutgemeinte Zuspruch verhöhnt dich. Irgendwann resignierst du und kommst zum Schluss, dass es diesen Gott nicht gibt, und weisst nicht, dass du damit Recht hast.

Diesen Gott, wie ihn die bibeltreuen Christen meinen verstanden zu haben, und wie du meinst, ihn aus ihren Schilderungen zu kennen, gibt es wirklich nicht. Er ist ein Gedankenkonstrukt, eine Auslegeordnung an Bibelstellen, sorgfältig miteinander verwoben, einzelne Fäden, die farblich nicht passen, sorgsam herausgezupft und ausgelassen, Fragen und Ungereimtheiten mit einem schnell gesagten „Gottes Gedanken sind höher, als unsere“ abgetan. Wenn du deine Fragen äusserst, wirst du zum Gebetsanliegen, und während sie mit gesenkten Köpfen, vor Anstrengung gerunzelten Stirnen und zusammengekniffenen Augen das tun, was sie beten nennen, schüttelst du innerlich den Kopf und denkst: „Ihr wisst nichts!“
Du fragst dich die ganze Zeit, ob du ein richtiger Christ bist, dir das alles nur eingebildet hast und warum Jesus dein Gebet, du mögest seinen Tod am Kreuz endlich verstehen und er könnte dein Inneres so umkrempeln, wie das ihre, nicht erhört. Er müsste doch ein Interesse daran haben, dass die Bekehrung in deinem Herzen ankommt, mit allem Drum und Dran. Muslimen ist er auch erschienen, warum dir nicht?

„Such weiter“, ermunterte sie ihn, „Es gibt ihn schon.“

„Kennst du ihn denn?“

„Jetzt wird es schwierig“, sagte sie, „Ich weiss es nämlich nicht. Ich denke, wir können Gott, oder wie auch immer du das nennst, nicht erfassen, beschreiben, in Worte runterbrechen. Er ist zu anders, zu umfassend. Er ist alles. Er ist. Und auch das ist irgendwie falsch gesagt. Und auch wieder nicht.“

Er schwieg nachdenklich. „Und Jesus?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiss es nicht“, gab sie zu. Er ist auch alles. Und bei ihm stimmt der Satz ‚Er ist‘, weil er wirklich ein Mensch war, der gelebt hat. Aber ich glaube nicht, dass man glauben muss, er sei für unsere Schuld gestorben, um erlöst zu werden. Ich weiss nicht mal, ob man überhaupt erlöst werden muss.“

„Wie kannst du das so sagen? Woher weisst du das?“

„Ich habe es gewagt, andere Sachen zu lesen, die nicht Christen geschrieben haben. Worte von Menschen, die ebenfalls meinen, Gott erfasst zu haben. Sie haben genau dasselbe versucht: dieses unfassbare, unendliche, umfassende Wesen irgendwie in Worte und Geschichten runterzubrechen.
Es passiert ja nicht auf dieser Ebene, und es ist nicht der Verstand, der eine Erkenntnis hat oder eine Gottesbegegnung erlebt. Es ist der Geist. Aber der Geist hat keine Sprache.
Wenn Sprache das Medium ist, mit dem wir Gott erfassen, dann ist es immer nur eine Übersetzung. Und bei Übersetzungen passieren Fehler. Sie sind ungenauer, als der Originaltext.“

„Du hast dich also mit anderen Religionen befasst?“

„Ein bisschen. Aber nicht nur: Ich habe auch Menschen zugehört, die in der christlichen Kultur grossgeworden sind, aber den christlichen Glauben nicht teilen oder ihn nur als Kulturgut betrachten.“

„Früher hast du doch immer ‚christliche Bücher‘ verschlungen, also welche aus dem freikirklichen Sektor, und dann behauptet, Gott hätte dich geführt, das Buch zu lesen. War das nicht so“

„Ja. Und es ist immer noch so. Ich fühle mich genau gleich geführt, ob das Buch ‚christlich‘ ist, oder nicht, spielt keine Rolle.“

„Und in diesen anderen Büchern hast du jetzt also Gott gefunden?“ Mit einem zwischen Hoffnung und Skepsis schwankenden Blick hob er den Kopf.

„Nein. Ich versuche ihn zu lesen“, antwortete sie. Wenn meine Theorie stimmt, kann man die Gemeinsamkeiten dieser Aussagen zusammenfassen und dann müsste das ein vollständigeres Bild von Gott geben, falls es sowas überhaupt gibt. Manchmal weiss ich durch die Aussage eines Nichtchristen, der über Spiritualität redet, plötzlich, wie eine Geschichte in der Bibel gemeint ist.
Vielleicht haben wir mit der Bibel einfach die deutlichsten Aussagen über Gott und dieses Bild hat ein paar Schattierungen mehr, aber in den anderen Religionen und Überzeugungen findet man ihn ebenso.“

Jetzt war ihr Gespräch ganz woanders gelandet. Eigentlich hätte sie ihn darauf hinweisen wollen, dass er in einer schweren Depression steckte und ihn bitten, dringend etwas dagegen zu unternehmen, bevor es zu spät wäre. Was, wenn ihm das niemand sagen würde? Und was, wenn er nichts damit anfangen könnte, es abstreiten würde?
Andere Menschen können den Stein nicht von deinem Herzen wegnehmen, das wusste sie aus eigener Erfahrung. Du selbst kannst es auch nicht. Aber du kannst hinsehen, das beim Namen nennen, es zugeben. Du kannst in Gedanken dein Herz in beide Hände nehmen und es diesem unbekannten Wesen Gott hinhalten: „Schau, so sieht’s aus und ich kann es nicht ändern.“ Du musst nicht mal darum bitten, dass er es ändern möge. Du musst es nicht mal ändern wollen. Es ist nur dieser winzige Schritt, immer und immer wieder. Hundertmal am Tag, manchmal.

Wie eine Lupe oder ein Verstärker

Das meiste, was ich hier schreibe, bleibt Entwurf. Wie ein Tagebuch, ein Brief an mich selbst, zum Veröffentlichen zu belanglos, zu wirr. Heute veröffentliche ich es wieder einmal, stolpernde, ungeschliffene Sätze und Gedanken ohne Adressaten.
Und mein Pseudonym passt nicht mehr – Schneiderin. Wann habe ich zuletzt etwas genäht? Vermutlich war es ein Gegenstand, den ich für meine SchülerInnen ausprobiert und währenddessen eine Fotoanleitung erstellt habe.

Die Pandemie – das Wort fühlt sich trotz Allgegenwärtigkeit fremd und ungelenk an – hat ans Licht gebracht, was klemmt und hapert, wo Dinge nicht sind, wie sie sein sollten, nicht nur in den Ländern und auf der Welt, auch in meinem Leben. Sie verstärkt das, was ist, wie eine Lupe und unterscheidet nicht zwischen positiv und negativ.
Wo sind meine Freunde? Für wen bin ich wichtig? Wann habe ich überhaupt zuletzt ein Gespräch geführt, das etwas tiefer ging, als bloss bis zu dem, was mich tagtäglich in Atem hält? Das ist nicht wenig.

In erster Linie ist das ein Job, der für mich mehr als ein Job ist, aber von dem ich nicht weiss, wie relevant er tatsächlich für die anderen, vor allem für die Adressaten ist. In dieser Zeit wird mein Fach bloss am Rand erwähnt, die Vorgaben dazu sind schwammig und was ich gerade bis an die Grenzen stemme, habe ich mir selbst auferlegt. Die Zeit, die ich sonst im Schulzimmer stehe, plus jene meiner üblichen Vor- und Nachbereitung, überschreite ich fast nicht. Allein die Aufgaben sind ganz andere, ermüdende, auslaugende. Ich erstelle leicht verständliche Anleitungen mit knackigen Texten und aussagekräftigen Fotos, packe stundenlang Materialkits, also zum Beispiel Stoffstücke, Stecknadeln, Faden, Stopfwatte und eine Nähnadel für meine 134 SchülerInnen und habe meine Mailadresse und die persönliche Handynummer mehrfach für direkte Rückfragen angeboten, was rege genützt wird. So verschwimmen die Grenzen zwischen geschäftlich und privat noch mehr, als sie es mit den Daten in der Wolke und dem mobilen Computer eh schon tun.
Mein Fach wird aber in den Vorgaben von Bund und Kanton wie gesagt nicht erwähnt. So rein theoretisch müsste ich also nichts tun, ausser mein Schulzimmer ausmisten und wunderbar ausgestaltetes, neues Anschauungsmaterial kreieren und laminieren. Es gibt Fachkolleginnen, die das genau so handhaben, ich kann das nicht.
Die Rückmeldungen von Eltern geben mir Recht. Meine Aufgabenstellungen werden mehrheitlich geschätzt. Ich gebe ja bloss eine Zeitspanne vor, nicht aber konkret zu erreichende Wochenziele, was die Planung und Aufgabenstellung für mich aber nicht einfacher macht.
Mein Fach hat sich zur Beschäftigungstherapie für gelangweilte, sich unfreiwillig in Hausarrest befindende Kids und homeschoolinggeplagte Eltern gewandelt, und manchmal sind meine Aufgaben wohl eine echte Herausforderung, aber meistens eine willkommene Parkmöglichkeit für Nachwuchs, der zu sehr an ein vorgegebenes Programm gewöhnt ist.
Daneben versuche ich ein Nachdiplomstudium für ein Einzelfach zu absolvieren, in dem alle Aufträge auf Distanz doppelt so lange dauern und halb soviel nützen, wie im Normalbetrieb. Ich kenne also ein wenig beide Seiten.

Aber das ist es nicht, was ich eigentlich erzählen wollte. Ich wollte über die Lupenfunktion einer Krise nachdenken und darüber, wann ich denn zum letzten Mal ganz ungeschminkt mit einer Freundin darüber geredet habe, was mich wirklich beschäftigt. Ich weiss es nicht mehr.
Der Platz meiner besten Freundin ist seit vier Jahren leer.

Wenn man Menschen verliert, die einen fast das ganze Leben lang kennen, und alle anderen Menschen, von denen man so etwas sagen könnte, nicht mehr wirklich Teil des eigenen Lebens sind, dann ist es, als ob ein Stück von einem fehlen würde, abgeschnitten und in der Zeit zurückgelassen.
Ich habe verstanden, was damit gemeint ist, dass mit dem Tod eines Menschen ein Teil von einem selbst mitstirbt. Und ich habe begriffen, dass neue Menschen nicht einfach kommen und ein Teil meines Lebens, ein Teil von mir werden können. Sie kennen meine Geschichte, mein früheres Ich nicht. Wenn ich erzähle, muss ich weit ausholen, wo vorher mit ein paar Andeutungen alles gesagt war.
Ich werde auch nicht so nebenbei und auf die Schnelle Teil ihres Lebens. Alle Menschen, die ich kennen lerne, haben bereits ihr Netz, ihr volles Leben und nur begrenzt Zeit übrig für eine neue Freundschaft. Aber eine solche, eine wirklich gute solche bräuchte genau das.
Das kann auch gut sein, ja. Ich könnte sozusagen neu anfangen und mich neu erfinden. Aber irgendwie fehlt mir ein Teil von mir oder der Zugang zu diesem Teil von mir.
Gibt es einen Code, um ihn wieder aufzuschliessen? Brauche ich den Teil denn noch? Bin ich nicht vollständig ohne ihn? Ich sage immer, im Innersten sei ich noch in den Zwanzigern und das, was mich ausmache, leuchte noch  immer in der gleichen Farbe wie damals, nur um Erfahrungen, Ernüchterungen und eine grosse Portion Gelassenheit reicher.

Trotzdem wünsche ich mir eine Freundin, die mich kennt und vor der ich kein Blatt vor den Mund nehmen müsste. Jemanden, dem diese höfliche Distanziertheit fehlt, die als Barriere immer zwischen uns ist. Jemanden, der anrufen würde, um spontan vorbei zu kommen, der nachfragt, wie es mir geht und wie ich das jetzt genau mache mit den Homeschooling-Aufgaben. Jemanden, der nicht peinlich berührt eine Augenbraue hochzieht oder weg sieht, wenn ich an den falschen Stellen laut herauslache. Jemanden, der es nicht persönlich nimmt, wenn ich mal eine Weile nicht anrufe. Jemanden, der mit mir über Gott und die Welt philosophiert und die echten Fragen zulässt, sie stehen lässt und aushält mit mir und nicht Antworten präsentiert.
Fange selber damit an, so jemand zu sein, sagen alle.

Ich glaube, ich muss zuerst den Schlüssel wieder finden und dann in jenen Raum hineingehen. Ich muss die Fensterläden öffnen, Licht und Sonne hereinlassen, frische Blumen auf den Tisch stellen und Kaffee kochen.
Und dann bleibe ich dort sitzen um dir zu danken, dass du da warst, und ich lasse dich ziehen, damit du bei mir bleiben kannst, wenn du willst.

Nichts ist nicht nichts

Bei vollem Bewusstsein ins Strudeln geraten.
In den Strudel geraten. Keine Chance, Halt zu finden. Es strudelt. Es kreist. Das Leben dreht sich an mir vorbei.
Andocken? Wie mache ich das? Keine Besser-leben-Blogs und -accounts helfen, egal, welcher Sorte. Leben muss ich selber. Aber wie geht das, wenn man in der Grauzone angelangt ist? Nicht richtig gut, nicht schlecht genug, dass es reichen würde, einen aufzurütteln.
Der Glaube trägt gerade in schlechten Zeiten, sagen sie.
Es gibt zwei verschiedene Arten von schlechten Zeiten. Die mit den schwierigen Umständen, wo dir nichts übrigbleibt, als aufzustehen, alle Freunde zusammenzuhalten und weiter zu gehen.
Und die anderen. In denen nichts hilft, was du bisher gelernt hast. In denen du das Gefühl hast, bei allem bei Null anfangen zu müssen. Das Gefühl, dass nichts einen Sinn ergibt, auch das nicht, was so logisch und richtig schien, als es dir gut ging.
Glaube trägt? Das klingt wie ein Witz. Trägt er auch, wenn keine Freunde da sind weil du keinem richtig sagen könntest, was los ist und warum du Hilfe brauchst und nicht weiter kommst?
Wie trägt er dann?
Es kann nicht immer gut gehen.
Ja, das weiss ich auch. Aber diese Grauzone hält jetzt schon zu lange an.
Jetzt musst du kämpfen.
???
Wenn schlechte Gedanken und Gefühle kommen, ignorieren. Sogar entschieden weg schicken. So handeln, so tun, als ob du weisst, was du willst, wohin du willst und wie du dahin kommst. Du bist gut. Du bist richtig. Du kannst das.
Ich vergesse es.
Unterwegs im Leben vergesse ich das. Ich vergesse, genug zu trinken, mich zu bewegen, Musik zu machen, vergesse, zu kämpfen, ein Licht anzuzünden, mich zu besinnen, was ich will. Es wird Abend, Tag für Tag, und ich habe es wieder vergessen. Habe gemacht, was vor meinen Händen lag, getan, was zu tun war. Erledigt, was anstand. Ich komme im Dunkeln nach Hause und vergesse, dass ich mich bewegen wollte, etwas Gescheites, mir gut tuendes essen, jemandem zum Geburtstag gratulieren. Solche Sachen eben.
Es ist nur der Winter. Du musst dafür sorgen, dass du etwas raus kommst. Stress abbauen.
Nur der Winter? Und ich habe keinen Stress.
Wo soll ich hin im Dunkeln? Der Strasse entlang spazieren?
Jetzt ist es Tag, Morgen, und die Sonne scheint. Mach etwas! Pack dein Leben an!

Ich glaube, ich lösche das wieder. Hier im Netz will man nur Lösungen. Glatte, heile Welt. Keine Prozesse. Nichts Ungelöstes. Keine unbeantworteten Fragen. Kein offenes Ende. Und wenn sowas kommt, muss man kommentieren, abstempeln, es besser wissen.
Ich mache das auch so. Denkend meistens, nicht schreibend, aber das ist dasselbe.
Als es mir gut ging, so Vollgas mit Fahrtwind im Gesicht, da sah ich keine Fehler an mir. Ich mache alles richtig, die anderen sind falsch, war meine Haltung. Was ich auf den verschiedenen Kanälen las, bestärkte mich darin, nur das Gute an mir zu sehen. Mich schön zu finden. Mich gut zu finden. Selbstliebe und so. Ich zuerst. Denn wenn es mir nicht gut geht, geht es niemandem um mich gut. Klingt alles logisch, solange es einem gut geht.
Aber was jetzt? Jetzt sehe ich Fehler, erschrecke manchmal, schäme mich, verurteile oft trotzdem, obwohl ich es besser weiss, mache andere Fehler, obwohl ich es besser wüsste. Es ist das realistischere Bild, ein ganzes, ernüchterndes Bild.
Ist das besser, als nur das Gute zu sehen?
Kann man dieses Selbstliebe-Ding auch machen, ohne dass es auf Kosten anderer geht?
Wer kann in diesem Dschungel wirklich wegweisend sein?
Bete. Bitte darum, die Liebe kennenlernen zu dürfen. Bitte darum, dass Jesus in dein Leben kommt. Bitte darum, dass er es dir erklärt, so, dass du verstehst.
Habe ich alles schon gemacht. Ist nix passiert.
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Ok. Dann warte ich mal.

Nein. Klinke dich aus dem Lesen aus. Lies nichts. Keine Blogs und Instagrams, hör keine Besser-Leben-Selbstoptimierungs-Podcasts und lies keine Bücher.
Kein Input. Nur still sein.
Deine eigene Stimme wieder hören lernen.
Herausfinden, was DU zu sagen hast, wer DU bist, ohne all das andere.
Da sein.

Sein.

Alles hat seine Zeit

…und manchmal fügt sich ein Teil so perfekt zum anderen, dass man unweigerlich auf die Idee kommt, es könnte ein Masterplan, eine Art Drehbuch hinter allem stecken.

Als Christ ist mir dieser Gedanke nicht fremd, im Gegenteil. Und als ein solcher habe ich vor vielen Jahren meine Mondbücher weggeworfen weil ich, also eigentlich die Kirche, in die ich ging, sie als Aberglauben verurteilte. Etwas in meinem Inneren sagte mir damals, dass es sehr wohl sein kann, dass der Mond einen Einfluss auf das Geschehen auf der Erde hat, aber etwas anderes in mir wollte diesen ungelösten Fragen nicht nachgehen. Es war einfacher und massenkonformer, zuzustimmen, zu nicken und zu gehorchen.

Inzwischen bin ich alt genug, zu wissen, dass man niemals alles weiss und alt genug, mich zu trauen, selber zu denken. Das gesamte Menschheitswissen ist nur ein winziger Bruchteil des Ganzen, auch wenn sich die Geschwindigkeit, mit der sich dieses Wissen vermehrt, in den letzten fünfzehn Jahren fast vervierfacht hat! Wir werden trotz dieses Affentempos das Ende des Wissens niemals erreichen. Und wir können nur von unserem Standpunkt aus sehen. Wir können uns den des anderen bestenfalls vorstellen, aber ihn wirklich einnehmen? Ich glaube nicht. Und wir haben trotz dieses Affentempos auch Wissen „verloren“, das mal sehr verbreitet war.

Die Mondbücher haben nun nach vielen Jahren meinen Weg wieder gekreuzt, ergänzt um ein Buch, das es damals noch nicht gab. Es ist anders als die anderen Bücher dieser Autoren. Klar und geradlinig werden die Gedankengänge vor einem ausgebreitet, so, dass man die Zusammenhänge nachvollziehen kann. Nichts klingt nach Aberglaube, nichts nach Esoterik, im Gegenteil. Ich habe selten ein bodenständigeres Buch gelesen, das einen explizit darauf hinweist: „…Verlaufen Sie sich dabei nicht, und lassen Sie sich nicht in eine fanatische Richtung verführen, sonst sind Sie nicht besser dran…“

Wusstet ihr, dass das Wissen vom richtigen Zeitpunkt noch vor wenigen Jahrzehnten weltweit! verbreitet war? Wusstet ihr, dass sogar die Tiere sich daran halten und Vögel z.B. nur an bestimmten Tagen ihr Nistmaterial sammeln, so, dass das Nest nach einem Regen rasch trocknet und nicht brüchig wird? Ich erinnere mich noch an jene Kalender, in denen nebst den Mondphasen auch Tierkreiszeichen notiert waren, aber niemand konnte mir erklären, was sie bedeuten.

Unsere Vorfahren, die etwas weiter zurückliegenden, waren darauf angewiesen, ihren Künsten – Bebauen der Felder, Holz schlagen, Heil- und Pflegemittel herstellen etc. – das Wissen vom richtigen Zeitpunkt hinzuzufügen. Sie hatten keine Konservierungsmittel oder chemische Zutaten, die ihnen diesen Dienst abgenommen hätten.
Sie beobachteten die Natur und stellten fest, dass alle alltäglichen Handlungen vom Mondstand beeinflusst werden, dass Pflanzen und Tiere sich danach richten, Ebbe und Flut, das Wetter und Geburten davon beeinflusst sind.
Um das gesammelte Wissen besser und einfacher weiterzugeben, erfanden sie ein System. Sonne, Mond und Sterne waren da, von der Natur zur Verfügung gestellt als natürliche Zeitmesser. Sie beobachteten, dass bestimmte Kraftimpulse monatlich zwei, drei Tage dauern und der Mond in dieser Zeit immer durch die gleichen Sterne wandert. Also lag es nahe, diese Sternengruppe zu einem Bild zusammenzufasssen und ihr einen griffigen Namen zu geben, der zum jeweiligen Kraftimpuls passte. Zwölf solche Kraftimpulse entdeckten sie, die von der Sonne im Laufe eines Jahres und vom Mond im Laufe eines Monats durchwandert werden. So entstanden die zwölf Tierkreiszeichen. Der Himmel war jetzt ein Kalender und man konnte im Voraus berechnen, wann die guten Tage des richtigen Kraftimpulses wieder kommen würden und seine Arbeiten danach planen. Jetzt weiss ich, warum ich meistens bei bestem Willen nicht nachvollziehen kann, weshalb die Menschen in einem wirren Haufen Sterne einen Steinbock oder Widder oder eine Waage sahen. Es sind Namen für die Kräfte, die zu dem Zeitpunkt wirken, wenn der Mond gerade durch diesen Sternhaufen wandert.

Mir als Christ stellt sich spätestens jetzt die Frage: Haben Sonne, Mond und Sterne tatsächlich einen Einfluss auf uns, oder sind sie lediglich Zeiger auf einem Zifferblatt, die uns die jeweils beobachteten Energien anzeigen? Dass es diese Kräfte gibt, kann ich nicht abstreiten. Ich beobachte sie selbst.
Die Autoren antworten: Wir wissen es nicht. Wir beobachten nur und benennen die herrschenden Einflüsse der Einfachheit halber so. „Es ist handlicher zu sagen: „Der Mond im Stier beeinflusst die Halsregion“, als zu schreiben: „Wenn der Mond im Stier steht, herrscht gleichzeitig auf der Erde eine Kraft, die auf den Halsbereich wirkt.“
So formuliert macht es für mich Sinn und kommt meinem Glauben nicht als Aberglauben in die Quere. Es steht schon im alten Testament, dass alles seine Zeit habe.

Die Gedanken, die mir in diesem Buch vorgelegt werden, sind neu und vertraut zugleich. Zum Beispiel dieser: Es ist der Moment der Berührung, der die Wirkung überträgt. Denken wir an eine Massage, dann ist diese Aussage völlig logisch. Wenn wir mit Berührung mehr meinen, die Handlung selber oder auch ein Gedanke, dann weitet sich der Sinn der Aussage. Wenn wir tun oder denken passiert mehr als nur Handlung und Gedanke. Unsere innere Haltung, die Beweggründe und Ziele, die uns zu dieser Handlung veranlassen, werden genauso übertragen. Obwohl sie zum Zeitpunkt der Übertragung unsichtbar sind, werden sie dennoch heute, morgen oder in zehn Jahren für alle in irgendeiner Art und Weise sichtbar werden. „Wenn man aus Liebe berührt, erzeugt man immer Liebe. Wenn man aus Berechnung berührt, kommt ein Tauschhandel zustande (oder auch nicht).“
Und im Augenblick der Berührung werden ausser der inneren Intention auch die Kraftimpulse und Energien, die auf der Erde wirken, transportiert. „Die Kräfte, die durch den Zeitpunkt – die Mondphasen und den Mondstand im Tierkeis – gekennzeichnet sind, werden durch die menschliche Absicht wie in einem Brennglas gebündelt und verstärkt.“

Was mir an dem Buch gefällt, ist seine undogmatische Art. Man muss sich nicht pedantisch an die Angaben halten. Man darf sie als Hilfe benützen und flexibel und lebendig anwenden. Auch wenn man den Mondstand seit Tausenden von Jahren auf die Minute genau berechnen kann, wäre es fatal, beschränkte man seine Handlungen minutengenau auf einen so berechneten idealen Zeitpunkt. Kräfte und Energien wechseln nicht von einer Sekunde zur anderen, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Der Mond braucht ca. zweieinhalb Tage um durch ein ganzes Tierkreiszeichen zu wandern. Am Anfang dieser Phase wirken die Kräfte des vorhergehenden Zeichens noch nach, gegen Ende wirken schon die Energien des nachfolgenden Zeichens. Es gibt auch immer genügend Alternativen, wenn z.B. das Wetter oder Termine einem Vorhaben im Weg stehen. In verschiedenen Zeichen wirken ähnliche Kräfte. Die Natur lässt sich nicht in ein starres System zwingen. Der Mondkalender ist ein Werkzeug, ein Hilfsmittel, nicht weniger aber auch nicht mehr.

Was mir ebenfalls gefällt, sind die Parallelen, die ich in meiner Weltanschauung finde. Da steht zum Beispiel: „Statt leblose Hybriden zu züchten, die nicht keimfähiges Getreide abgeben, sollten wir zurückkehren zu wirklich lebendigem Getreide, das die Kraft zur Fortpflanzung in sich trägt. Und uns dann erinnern an die alte Weisheit der Natur: Wer Schönes bekommen will, muss Schönes opfern. Machen Sie es wie die naturverbundenen Gärtner: Sie lassen die kräftigsten, schönsten Radieschen stehen, statt gerade sie zu ernten, und warten dann, bis die Samen reif sind.“
Diese Aussagen erinnern mich schwer an die Empfehlung in der Bibel, dass wir den zehnten Teil von allem opfern sollen.

So, ich glaube, für heute habe ich genug gesagt. Diesen Beitrag schreibe ich nicht im Auftrag von irgendjemandem und schon gar nicht gegen Bezahlung. Aber ihr müsst damit rechnen, dass ich das Buch nicht zum letzten Mal erwähnt habe ;-)

Bis bald,

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PS. Danke an Der Emil, der mir den ultimativen Tipp für das Einfügen der Unterschrift gegeben hat. Dauerte nur fünf Minuten, ist nicht ganz perfekt, aber ich lass das jetzt so :-)

Demut

Nach langer Zeit, in der die Abstände immer grösser wurden, bin ich wieder mal hier und lese. Ja, lese! Ich lese in meinen eigenen Beiträgen und es ist wie ein Gespräch mit einer besten Freundin. Es ist, als ob ich mich selber an die Hand nähme und mir Weisheiten mit auf den Weg gäbe. Habe ich das alles tatsächlich mal geschrieben?

Ich denke über Demut nach. Schreibend. Etwas wackelig ist diese Reise, so, wie wenn man nach langer Zeit wieder Rad fährt. Kann ich es noch? Finde ich in Kreisen zum Kern der Sache?

Demut. Hat das was mit Mut zu tun? Der blaue Duden in meinem Regal gibt mir Recht. Der Mut in Demut ist tatsächlich von Mut abgeleitet.
Mut bezeichnete ursprünglich die innere Haltung, wenn man etwas unbedingt will. Das zeigt die indogermanische Wurzel mo- = nach etwas trachten, etwas anstreben, wollen.

Der andere Teil des Wortes dagegen gehört zum Stamm des Verbs dienen. Demütig bedeutete ursprünglich dienstwillig und Demut bezeichnete eine dienende Gesinnung.

Dienen, also. Die tiefere Bedeutung von Dienen kommt im litauischen Verb teketi = laufen, fließen, rinnen und im altindischen takti = eilt zum Ausdruck. Teketi und takti gehen auf dieselbe indogermanische Wurzel wie dienen zurück.
Rinnen und fliessen wie Wasser. Wasser fliesst ohne zu zögern in die Form, die gerade da ist und strebt keine andere Form an. Es gibt sich vollkommen dem hin, was da ist, und erfüllt die Rolle, die es darin hat.
Dienen ist also Hingabe, und Hingabe ist hinzuschauen, was ist. Den Dingen zu erlauben, dass sie sind, wie sie sind. Einem selbst zu erlauben, dass man ist, wie man ist und aus dieser Haltung zu handeln.

Ein weiterer Aspekt ist die Einordnung oder auch Unterordnung in ein grösseres Ganzes. Demütig sein heisst im weitesten Sinn wissen, dass es etwas Grösseres gibt. Der Demütige erkennt und akzeptiert aus freien Stücken, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt.

Demut hat nichts damit zu tun, sein Licht unter den Scheffel zu stellen oder sich selbst zu erniedrigen oder herabzuwürdigen. Demut hat auch nichts damit zu tun, sich äusserlich demütig zu geben und innerlich zu denken, man sei durch diese Haltung besser als der andere.
Demut ohne Liebe ist Stolz. Demut ohne Liebe ist eine Opferhaltung, aus der man einen Nutzen zieht.

Demut mit Liebe ist die Verschmelzung zweier innerer Haltungen: das Trachten des Mutes und die Hingabe des Dienens.
Demut trachtet danach, sich dem Jetzt, dem, was gerade ist, ohne Widerstand hinzugeben, zu dienen und zu handeln, ohne vor etwas zurückzuschrecken.

 

Exzellenz

Was ist das eigentlich? Was heisst das?

Das Wort kommt aus dem Lateinischen und heisst hervorragend, ausgezeichnet. Nebst dem Adel tragen diesen Titel auch Botschafter, Minister und Gesandte.

Exzellenz ist nicht einfach blosse Perfektion. Exzellenz vereint Erstklassigkeit mit Leichtigkeit, mit Freude und Fröhlichkeit, mit Klarheit und einem inneren Leuchten. Wenn es einfach nur Luxus, nur Exklusivität, nur unübertroffen, atemberaubend schön, auserlesen und exquisit wäre, dann würde ein Hauch Überheblichkeit und Distanz darin liegen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Es strahlt eine Purheit und Einfachheit aus. Weite Grosszügigkeit und Güte. Etwas Ungezwungenes, Schlichtes und zutiefst Berührendes. Etwas, was allem Seele gibt. Etwas Göttliches. Liebe.

Das Streben nach Exzellenz ohne dieses andere, unsichtbare gewisse Etwas verkommt zu Perfektionismus. Oder es wird zu einem Sich-um-alles-in-der-Welt-in-den-Vordergrund-stellen-Müssen. Es bekommt etwas Krampfhaftes und Aufgesetztes.

Echte Exzellenz besitzt eine gewisse Demut, Anmut und Natürlichkeit. So, wie ein Licht sich im Dunkeln nicht in den Vordergrund zu stellen braucht. Es leuchtet auch so.

Ein unübertroffen inspirierendes, wunderbares, grossartiges und exzellentes Bild davon komponiert Joanna mit ihrem ganzen Sein und Wesen. Der neuste Beitrag beweist es.

Gartenlektionen – Arbeiten wie atmen

Kürzlich arbeitete ich in unserem grossen Garten, der in den letzten Tagen zum Regenwald geworden ist: ein undurchdringlicher Dschungel an manchen Stellen.

Ich jätete den Hang mit den Brombeerranken und dem Schachtelhalm und der Garten lehrte mich während ich arbeitete. Ich wollte nicht irgendetwas erreichen, nicht in einer gewissen Zeit fertig sein mit meiner Arbeit. Irgendwo muss man mal anfangen, dachte ich und wollte einfach nur arbeiten, bis ich müde bin und an einem anderen Tag damit weitermachen.

Ich verbrachte zwei Stunden, die wie im Flug vergingen und kam vorwärts, wie ich es nie gedacht hätte. Das Arbeiten war mühelos und bereitete Freude.

Genau an diesem Punkt, wo ich es forcieren wollte, wo ich schneller sein wollte, als mein gutes Fliesstempo war, da wurde es anstrengend und mühsam. Genau, da, wo ich mich innerlich auflehnte und gegen die Ranken stemmte, wurden sie undurchdringlich und kratzten meine Arme auf. Die Arbeit wurde mühsam und anstrengend und ich fühlte mich, als sei die ganze Welt gegen mich.

 

Wenn uns in unserem Leben irgendetwas begegnet, das wir uns anders wünschen, etwas, das nicht so ist, wie wir dachten, es müsste sein oder etwas, das ein unhaltbarer Zustand ist, dann begehren wir innerlich auf.
Wir empören uns. Wir schimpfen darüber – laut oder nur innerlich.
Wir regen uns auf. Wir nerven uns daran. Wir sind wütend.

Wir denken immer wieder darüber nach. Und wir haben das Gefühl, wir müssten und könnten im Inneren einen Muskel anstrengen, der dann bewirkt, dass dieses ungeliebte Äussere sich ändert.
Das merkt man daran, wie wir über darüber sprechen, was wir tun oder tun möchten.

Es ist angestrengt oder mit einer Art Unzufriedenheit oder Empörung darüber, wie etwas ist. Man hört die Auflehnung im Tonfall und in der Wortwahl.

Wir möchten, dass es nicht so ist, wie es gerade ist. Wir sind nicht einverstanden damit, dass es jetzt gerade so ist. Wir lehnen uns dagegen auf, dass es jetzt so ist. Und meinen, ohne diese Auflehnung könnten wir nicht aktiv werden, uns nicht wehren. Wir meinen, ein Tun um die Sache zu ändern käme aus der Auflehnung und je höher dieses innere Dagegenstemmen sei, desto kraftvoller sei die Tat, die den Zustand ändert.

Allein die Auflehnung ändert nichts am Sosein der Dinge. Wir können das Sosein der Dinge nicht ändern. Die Dinge sind so, wie sie sind, jetzt gerade, und das hat nichts mit Resignation, sondern mit Realität zu tun.

Aber wir wissen, dass alle Dinge sich beständig ändern. Deshalb können wir etwas tun, das die Dinge in eine bestimmte Richtung bewegt.

Auch dieses Tun muss aber frei von jener inneren Muskelanstrengung sein. Weil dieser innere Muskel es nicht ist, was uns zur Tat führt. Und weil dieser innere Muskel nicht das ist, was wirkt. Er spannt sich bloss an und verbraucht unsere Energie. Energie, die dann nicht für das Tun zur Verfügung steht. Energie, die den Geist belegt. Den Geist, das Denken, das wir zum klaren Tun bräuchten.

Die Tat, das Tun muss aus einer Art Fliessen kommen. Man ist wach, sehr wach, innerlich, und klar. Man weiss genau, was man tut und was dieses Tun bewirkt. Man forciert nichts. Man tut einfach in einem guten Rhythmus das, was zu tun ist. So, wie man ruhig ein- und ausatmet. Es ist ein Schwingen. Eine Art Tanzen. Der innere Muskel ist nicht angespannt. Man lässt sich sozusagen tragen von dem, was gerade ist, von dem Fliessen des Tuns, von den Bewegungen, die man dazu tun muss.

Die Kreativität erreicht den höchsten Grad. Es ist nicht eine Kreativität, die aus dem Denken kommt, sondern eine, die aus dem Innersten Fliessen kommt. Man ist kreativ, schöpferisch.

Die Bewegung geht nicht nur in eine Richtung. Es gibt Saat und Ernte. Es gibt Tag und Nacht. Es gibt Einatmen und Ausatmen.

Es gibt diese beständige Steigerung, die wir heute in allen Bereichen des Lebens, vorallem in den Tätigkeiten so leben wollen, nicht. Das entspricht keinem Naturgesetz. Wir selber sind dafür nicht gemacht.

Selbst Gott hat am siebten Tag geruht. Und selbst eine Maschine muss man anhalten um sie zu reinigen und zu reparieren.

Das Geheimnis des wirkungsvollen Tuns liegt darin, als erstes hinzuschauen, was ist. Den Dingen zu erlauben, dass sie sind, wie sie sind. Einem selbst zu erlauben, dass man ist, wie man ist. Man muss nichts hinzufügen, um zu sein.

Wenn man so wach hinschaut, kann man auf die Dinge antworten und eingehen. Man gibt das mit hinein, was man ist und wozu man fähig ist. Und dann schaut man wieder, wie es weitergeht. Wie die Situationen, die Menschen antworten und wie das Leben antwortet.

Es ist ein stetiger Wechsel zwischen sehen, was ist und selber etwas beitragen.

Wie atmen. Ein und aus.

Trauer ist vielschichtig

Heute Morgen las ich einen wunderbaren, sehr treffenden Artikel über Trauer. Es ist genau so.

Ich denke darüber nach, ……. Wie sie sich zusammensetzt und dass es das kaum je gibt: pure Trauer. ………Von den Verdrängungsmechanismen und dem Schockzutand, von der vodergründigen Geschäftigkeit und den nächtlichen Zusammenbrüchen.

Und davon, wie die Trauer in die Seele einsickert und sich dort einnistet, ganz allmählich und mit einer langsamen Bewegung, weil sie weiß, sie hat alle Zeit der Welt. Sie ist gekommen, um zu bleiben.

Das Verstummen bei der Todesnachricht, der Kopf, dem klar ist, dass das tatsächlich stimmt, die Gefühle, die nicht nachkommen, Erleichterung, Schuldgefühle, weil man nicht erleichtert sein darf, wenn ein lieber Mensch stirbt, Schuldgefühle, weil ich doch dies oder das hätte tun, sagen oder sonstwas müssen, Fragen ohne Ende, das Meer voll ungeweinter Tränen und kein ruhiger Ort für mich, an dem ich sie hätte kommen lassen dürfen, die Einsamkeit, weil der einzige Mensch, der meine ganze Geschichte erfassen konnte, und auch jetzt genau wüsste, wie es mir geht, nun nicht mehr da ist, und das ohne Abschied, all das habe ich genau so erlebt, wie die Autorin.

Trauer ist vielschichtig. Und mächtig. Sie kann uns lähmen, uns vereinnahmen und anfüllen mit einer Wucht von Gefühlen, die wir sonst im Leben kaum kennen. Sie ist wie die Schattenseite von großer Liebe oder großem Glück – etwas, das schon immer da war als Möglichkeit und das sich jetzt entfaltet. Gekoppelt an die unbarmherzige Erfahrung von totalem Verlust, ist sie wie ein Schatten, der uns fortan begleitet, mal heller, mal dunkler, aber immer da. Und zugleich ist sie das, was den Gegenpol, das Glück, die Liebe, den Genuss all der schönen Dinge dieser Welt, noch heller leuchten lässt.

Ich hadere mit diesem Teil noch. Trauer ist der Schatten, der immer da ist, der Gegenpol. Ich fürchte mich vor dieser Schattenseite, die umso grösser ist, je grösser das Licht – und umgekehrt. Ich fürchte mich davor, das Liebste eines Tages zu verlieren.

Etwas in mir weiss, dass das so sein muss. Und der andere Teil ist einfach müde und wütend, dass es so sein muss. Ich bin gezwungen, zu akzeptieren, dass dieses Gesetz unabänderlich ist, und das passt mir nicht. Ich werde nicht gern gezwungen. Mein Herz ist noch nicht bereit, nachzugeben. Eines Tages wird es einwilligen, dass es so ist, wie es ist. Jetzt noch nicht.